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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1904)
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Wilhelmine Schröder-Devrient
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Anthes, Otto: Der deutsche Aufsatz und die künstlerische Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0459

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nach alter Leute Art abwägend zuuugunsten der Gegenwart. Kamen
sie aber zu dieser Frau, so war's, als würden sie wieder jung. Jch
persönlich habe Aehnliches an beflügelnder Erinnerungskraft, ja, an
jugendlichern Schwärmen von Greisen und Greisinnen niemals beim
Erzählen von anderen Künstlern erlebt.

Am meisten aber traf Wilhelminens Kunst Einen, dem zum künst-
lerischen Genie das Genie des Erkennens gegeben war. Sie war
ihrer Taten im höchsten Sinne unbewußt, sie gab, was sie geben
mußte, einfach weil sie im Geben lebte. Er erkannte es, und die
Erkenntnis befruchtete aus das herrlichste wieder sein Genie. „Die
entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich
elektrisch: bis auf den heutigen Tag hörte und fühlte ich sie, wenn
mich der Drang zu künstlerischem Gestalten belebte." So schrieb Richard
Wagner. Er, der seinen eigenen Worten nach als Einziger das „Bei-
spiel" befolgte, das „sie, die Mimin, dem Dramatiker gab". Was in
ihm dunkel sich regte, „die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der
Musik", Wilhelmine Schröder löste und klärte und bestätigte es zu
der Ueberzeugtheit: es kann geschehn, und so muß es geschehn.

Sie selber, die eine Vollenderin als singende Tragödin war,
sie ist durch das Morgenrot des Gesamtkunstwerks nur gleich einer
der alten Seherinnen gegangen, die kaum wußten, was der Gott aus
ihnen sprach. Wie gewaltig das Leben aus ihrer Kunst hinauswirkte,
nicht all ihr Leben fand Lösung in Kunst, und der heiße Rest for-
derte von ihr zu viel. Sie hat den jungen Kapellmeister nie ganz
verstanden, der einst als Meister von Bayreuth ihre Gestalt an Wahn-
frieds Mauer zu der Cosima Wagners schreiten ließ als die der zweiten
großen Genossin seines Werks. Mit dem Gefühle, unverstanden und
fast vergessen zu sein, ist sie gestorben. Möglich, daß ihr Name wirklich
vergessen wird. Jst aber auch die echte irdische Unsterblichkeit die des
hallenden Namens oder die der fortzeugenden Tat?

ver cieutscke AuksalL uncl clie künslleriseke Rullur

Der deutsche Aufsatz gilt heutzutage unter den Schulleuten ge-
wissermaßen für die reifste Frucht nicht nur des deutschen, sondern
des gesamten Unterrichts; insofern, als er die Selbsttätigkeit des
Schülers auf ihrem Höhepunkte, die höchste Stufe dessen darstellen
soll, was man bei einem Schüler Produktion nennen darf. Sehen
wir davon ab, daß diese Anschauung zunächst einmal eine große Ueber-
schätzung des Schriftlichen überhaupt in sich birgt, die unserem
papiernen Zeitalter zwar auf allen Gebieten geläufig, aber deshalb
noch lange nicht berechtigt ist. Sehen wir ferner davon ab, daß wir
Selbsttätigkeit des Schülers nicht nur als vereinzelte Erscheinung, als
Höhepunkt oder Ziel des Unterrichts fordern, sondern in ihr die
Form, den Weg jeglichen Lernens erblicken. Sehen wir von alledem
ab und fragen wir: eignet sich der deutsche Aufsatz, so wie er gegen-
wärtig in unseren Schulen betrieben wird, denn überhaupt dazu, in
dem Schüler schlummernde Fähigkeiten mit der wünschenswerten
Energie zu erwecken und in einer wünschenswerten Richtung zu ent-
wickeln? Und man darf diese Frage von unserem Standpunkt aus



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