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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Unsere Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0578

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Wohl vor wenigen Stücken kann der Reiz der Skizze in höherem
Maße genossen werden, als an der bis heute noch niemals reproduzierten
Arbeit Arnold Böcklins, die wir diesem Hefte voranstellen. Unzweifel-
haft jeder nnsrer Leser besitzt von dem berühmten Bild der „Seeschlange"
irgendeine Wiedergabe, wir bitten, sie zum Vergleiche vorzunehmen, wenn
man nicht mit unsrem Blatt in der Hand in der Münchner Schackgalerie
vor das Original treten kann. Es soll selbstverständlich nicht etwa be-
hauptet werden, daß eine Skizze an sich wertvoller sei, als ein fertiges
Bild; der Gewinn an Werten i st es ja gerade, die Verbesserungen
sind es ja, durch die eine Arbeit überhaupt erst „fertig" wird. Auch unsre
Skizze macht von dieser Regel keine Ausnahme. Der Griff, wie der Triton
sein Muschelhorn hält, das leuchtet auf der Skizze schneller ein, aber
„unnatürlich" ist es auch auf dem sertigen Werke kaum, im übrigen
zeigt hier alles Geformte von Skizze zu Werk ein Weiterbilden, ein Aus-
wachsen. Man vergleiche daraufhin Gesicht und Körperhaltung des Wasser-
weibes hier und dort, wie der starre Körper der Skizze im fertigen Werke
die Glieder gelöst hat, wie das Gesicht zu sprechen beginnt. Oder den Kopf
der Wasserschlange, die in dieser Beziehung besonders interessant ist. Auf
der Skizze ist dieser Kops traummäßig umgesehn aus stumpfen Rundfisch-
köpfen, wie etwa der Neunaugen, aber zwei solcher Augen wären zu
viel gewesen. Aus dem Bilde ist das Wegfallen des einen humoristisch
motiviert: das Wasserweib schiebt dem Vieh die Kopfhaut und damit das
eine Auge zusammen, nun bekommt der ganze Kopf Humor, der Leib
durch Betonung des Teppichmusters ebenso, und das Meerweib selber, auf
der Skizze ganz ernst, ändert aus dem fertigen Werke dementsprechend den
Ausdruck äuch. Das Bild ist der Mann, die Skizze das Kind. Wie aber
die an sich höhere Mannesreife nur entsteht, indem die besonderen Kind-
heitsreize schwinden, so muß auch das Kunstwerk beim Heranwachsen auf-
geben, indem es erwirbt. Es ist die U r s p r ü n g li ch ke i t, die den Reiz
der Skizze bildet, und ganz besonders bei reiner Phantasiekunst. Scheint
es hier bei der Böcklinschen nicht, als sähen wir ein Traumgesicht in Farben
sich aus dem Schlafe lösen? Jch bitte die Freunde, sich da hineinzusehn,
sie werden einen ganz eigentümlichen Eindruck des Aufdämmerns einer Er-
scheinung aus dem Unbewußten gewinnen. Wunderbar ist das Kolorit
der Skizze, das beim Vollenden des 'Werkes 'durch ein andres er'setzt werden
mußte, das gerade in dieser Eigentümlichkeit aber auch tatsächlich
nur auf der Skizze lebt. Zu der Schönheit des ganzen Zusammenklangs
treten Einzelheiten wie die ganz überaus feinen Töne am Himmel, von
denen unsre Wiedergabe immerhin wenigstens eine Ahnung gibt. Und
wie die einzelnen Pinselstriche recht als Einfälle auf die Tafel fallen und
über sie hinkriechen und auf ihr herumzaubern — dem nachzugehen ist
wirklich schon ein auserlesener Genuß. —

Eine ganz besonders feine Winterlandschaft, die diesem Hefte
beigegeben werden sollte, ist leider in der technischen Anstalt nicht recht-
zeitig fertig geworden, wir fügen sie also einem der nächsten Hefte bei.
Statt ihrer geben wir zur Begleitung des Leitaufsatzes wenigstens zkvei
„Kunstphotographieen" nach Winterlandschaften. Eine aus dem

j. Ianuarheft l905 53t
 
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