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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Musikalische Stilmeierei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0030

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IVlusikaliseke 8lilmeierei

Jch weiß nicht, wer einmal vorgeschlagen hat, es möchten gewisse
Worte, deren Begriffsinhalt sich durch den starken Modegebrauch schon
zu leerem Dunste verslüchtigt hat, wenigstens unter den Gebildeten eine
Zeitlang verpönt werden, damit man sie, nach gehöriger Entwöhnung,
dann wieder in ihrer sinnvollen Bedeutung verstehen und verwenden
lerne. Zu solchen Worten, mit denen heutzutage viel Unsug getrieben
und oft rein gar nichts gesagt wird, gehört das Wort „Stil". Wenn
unsere Reporter eine Kunstleistung loben oder tadeln wollen und wenn
ihnen dazu gar nichts Kennzeichnendes einfällt, so stellt das „stilvoll"
oder „stilwidrig" oder „stillos" noch immer zur rechten Zeit sich ein.
Jn sechs unter zehn Fällen wird, soweit die deutsche Druckerschwärze
färbt, das Wort „Stil" nur noch als Phrase verwendet.

Und in einem guten Teil der Fälle wieder nur ganz schul-
meisterlich im Munde von Pedanten. Wir wissen, welchen Kampf die
bildenden Künste zu bestehen gehabt haben, bevor sie die verzopften
Vorurteile der Stilmeierei überwanden. Wehe, wenn die damaligen
kritischen Zünstler z. B. in einem gotisch angelegten Gebäude ein
Renaissance-Motiv entdeckten. „Stilwidrig!" Man zog die Künstler
längst verstorbener Jahrhunderte zur Zeugenschaft ohne zu fragen, ob
die Gegenwart hier nicht vielleicht eine dankenswerte Bereicherung
ihrer Mittel gewann. Heute sind wir dort so weit, daß uns eine Ver-
letznng der historischen Stilgenauigkeit nicht mehr als das Wichtigste
erscheint; in der Baukunst, der „gefrorenen" Musik, beurteilt man
eine etwa gewagte Verbindung verschiedener historischer Stilelemente
unbefangen nach ihrer sachlichen Bedeutung.

Die „ungefrorene" Musik aber, die eigentliche, sie schmachtet noch
nach wie vor unter der Tyrannei unserer Stilhuber, wie sie ja aus
dem Wege zu den Errungenschaften des modernen Geistes immer eine
geraume Strecke hinter den anderen Künsten nachhinkt. Die einzelnen
Stilarten gelten hier noch nicht als Ausdrucksmittel zum freien Ge-
brauche sür das künstlerische Bedürfnis, sondern als strenge Richt-
schnuren, deren genaueste Beachtung Lob, deren Vernachlässigung un-
fehlbar ein Verdammen nach sich zieht. Einem Komponisten heute
nachsagen, daß sein Werk nicht einheitlich im „Stil" sei, heißt, wie
die Dinge liegen, seine künstlerische Daseinsberechtigung leugnen. „Die
Hand ihm zu reichen schaudert's dem Reinen." Jst es nicht höchste
Zeit, diesem Treiben entgegenzutreten?

Wir werden uns davor hüten, zum Kreuzzuge gegen den Stil
zu rusen. Wir haben in dem tonangebenden Musiker unserer Epoche
zugleich einen Großmeister der Stilisierung gehabt. Kaum aber hat
uns Wagner vom Stilmischmasch Meyerbeers befreit, nun die Wohl-
tat zur Plage, nun seine Stileinheit bereits wieder zu einer all-
gemein verpflichtenden, und damit zum Hemmschuh der weiteren
künstlerischen Entwicklung gemacht wird. Jn der lebendigen Kunst
aber gibt es keine starren Regeln und führen verschiedene Wege zu
guten Zielen.

Bleiben wir zunächst bei der dramatischen Kunst, wo die Tabula-
tur eine Gleichartigkeit der Ausdrucksmittel fordert. Goethes



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