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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [8]: Religion
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0291

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Vorbemerkung: Mit der Ueberlassung des Referats über Religion an
einen andren Hauptbearbeiter haben wir diesmal eine Dreneilung dieses
ganzen Kapitels verbunden. Es nnrd zuerst von der Seite aus betrachlet, von
der aus die ständigen Mitarberter des Kunstwarts, soweit sie in dieser Sache
ein Urteil zu haben glauben, es sehen. Aber unser Blatt wird weil über die
Kreise derer hinaus gelesen, die unsere Ueberzeugungen hier teilen, uud so haben
sich viele seiner Freunde durch die Nichtberücksichttgung ihres abliegenden Stand-
punktes in früheren unserer Ratgeber beschwert gefühit. Sie haben damit Recht
gehabt. Denn wenn wir verpslichtet sind, unsere eigene Ueberzeugung auch
über religiöse Dinge klar zu bekennen, so hat sich doch gerade der Kunstwart sorg-
sältigst schon vor dem Scheine zu hüten, als wollt' ei in religiösen Dmgev irgendwen
„bekehrcn". Seine Aufgaben sind ästhetische, sie fiagen immer und überall:
ist, was vorliegt, echter und klarer Ausdruck dessen, was sich auszudrücken
vorgibt — aber dieses selber, hier also die verschiedenen Ueberzeugungen, haben
wir als Voraussetzungen hinzunehmen, wie etwa bei der Gestaltung hier eines
protestantischen. dort eines katholischen Kirchenbaus die verschiedenen Bekenntnisse.

Wir lassen also auf unsere eigene Aufpellung eine solche vom p r o-
testantisch-positiven und dann eine vom streng katholischen
Standpunkte folgen.

Der vorliegenden Beratung liegt die AtUchauung zu Grunde, datz die
Religion, je länger, je mehr, ihr Recht im modernen Geistesleben nur dann
zum Heile dieses Lebens selbst, dessen innerste Seele sie ist, behaupten könne,
wenn sie sich intellektuell, historisch, ästhetifch, moralisch mit d e nselben Mah-
stäben messen und bewerten läßt wie alle anderen Erscheinungen und Kiäfte
des Menschengeistes. ,Nur wenn die Religion sich und ihre Geschichte mit
vollster Gelassenheit und Offenheit aller und jeder ernsigemeinten Untersuchung
aussetzt und nirgends heilige Grenzen und Zäune um sich zieht, kann sie sich
das gute Gewissen und offene Auge erobern, deren sie zur eigenen Existenz
und breiten Auswirkung ihrer Lebenskräfte bedarf." Das ist das Bekenutnis,
das der folgenden ersten Auistellung zu Grunde liegt.

Ueberblicken wir zuerst unsere Zeit uud lassen zunächst einmal die mehr
historischen und systematischen Bearbesier der Religion aus dem Auge, so sehen
wir eine ganze Reihe eigenartiger religiöser Kräfte in persönlichem Stil sich
betätigen. Die einen von ihnen arbeiten mehr im kirchlichen Rahmen und
Jnteresse. Die anderen entzünden ihr religiöses Feuer mehr an der Reibfläche
der sozialen und politischen Verhältnisse. Bei den dritten ist alles auf den
individuellsten Ton gestimmt und oielfach vom Kulturmteresse beschwingt und
beseelt.

Für die christliche Gemeinde zu persönlicher Andacht und Erbauung,
Belehrung und Verständigung schreibt: Wimmer, voll Wärme und Friede,
Andachten „Das Leben im Llchl"; Smend, frisch, packend, modern, „Feier-
stunden"; H'ilty, ein Schweizer, „Glück" und „Für schlaflose Nächte", in
einem herben und gesunden Geiste, mit reicher Belesenheit, aber, obwohl ein
Laie. oft gar zu seltsam theologisierend und alttestamentlich anmutend;
Sulze, um die Lehrgesetzlichkeit zu zerbrechen und an Stelle der dogmatischen
Streitereien und ihrer Unfruchtbarkeit einen lebendigen religiösen Frieden und
erne sittliche Kraftentfaltung des Geistes aus Gott in der Gemeinde Christi
heraufzuführen; Herrmann sein leiüer nicht leicht lesbares, zu christozentrisches,
aber überall in die Tieie gehendes und vielen das Höchsie gebendes Buch
„Der Verkehr des Christen mit Gott"; PaulGraue, in knappem Stil und
geistreicher Art, eine treffliche „Glaubens- und Sittenlehre"; Schian, mehr
von Christus her, freimütig und fromm, „Unser Christenglaube"; Bolliger,
überaus interessant, voll Geist und Leben und Frische, aber auf unmöglicher
erkenntnistheoretischer Grundlage, „Der Weg zu Gott"; Karo, vom gemüts-
tiefen Rothe herkommend, „Auf dem Wege zur Wahrheit"; Rade, mit feinster
Empfindung für die alten und neuen religiösen Werte, „Die Wahrheit der
christlichen Religion" und das Andachtsbüchlein „Zu Chrisius hin"; schließlich
Räville, mehr akademisch, aber geistvoll, klar und gut zu lesen, sein „Modernes
Christentum".

2. Novemberheft 255
 
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