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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 10 (2. Februarheft 1905)
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Nissen, Benedikt Momme: Die mittlere Linie, [2]: zur heutigen deutschen Kunstlage
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Enking, Ottomar: Zur Kultur unsrer patriotischen Feste: auch ein Notruf
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0736

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Das Rührmichnichtan der Modegötzen muß endlich durchbrochen
werden. Destruktive Kunstprinzipieen wollen unsere Kunst ausweiden.
Lasse man doch endlich die Gehirnmalerest die krastverzehrende Nuancen-
jagd. Kunst ist kein Eiertanz. Jm Kleinen zu klütern an Medaillen,
Tapeten, Bucheinbänden u. a. hat nur dann einen Sinn, wenn eine
zentralkünstlerischeVolksschulung vorausgegangen ist oder
nebenher geht. Dieser Grundpfeiler aller Kunstpolitik wird viel zu
wenig beachtet. Eigenbrodem, Mannhaftigkeit einerseits, Sinn sürs
Konstruktive und Großgeistige andrerseits sind die natürliche Mitgift
des germanischen Stammes. Starkes Rückgrat ist deutsche Art. Bringe
man es in unserer Kultur, Kunst, Malerei wieder zu Ehren. Dürer
und Böcklin, Rethel und Leibl hatten es. Volkstümlich, männlich, me-
lodisch war ihre und sollte unsere Kunst sein. Sowie der Deutsche
jenes kostbare Erbgut persönlich, politisch, geistig, künstlerisch oder tech-
nisch preisgibt, ist's aus mit ihm. Er versinkt dann in dekadenten
Schleimzustand.

Stracken Ganges schreite der deutsche Künstler durch den Schwall
der Theorieen, der Moden, der Plattheiten von heute. Er verzichte auf
den Geist der Bagatelle. Er betätige mutig die den Stimmungsduslern
so „unangenehme Deutlichkeit". Nur aus solcher kernfesten und groß-
äugigen, strengen und zugleich zarten Dürergesinnung heraus kanu das
Palladium unserer wie jeder echten Kunst: Naivität, wenn über-
haupt, wiedergewonnen werden. Schweizer Mark und Wiener Blut
dürfen dabei als Fermente nicht fehlen. Das Deutschtum außerhalb
der schwarz-weiß-roten Pfähle bietet ein treffliches Gegengewicht gegen
die preußisch-pariserische Halbkunst. Außer auf die geschichtlichen muß
man auch noch auf die jetzt noch lebendigen Reserven deutschen Geistes
zurückgreifen! Ein überraffiniertes und doch ideenarmes Geistesplebejer-
tum droht den seit je sprudelnden bilderreichen Kunst- und Kindersinn
des deutschen Volkes zu ersticken. Eine bloß phosphoreszierende und
eine taufrisch perlende Kunst gehen nicht zusammen.

Zwischen diesen zwei Mächten ist keine Vermittlung möglich.
Eine deutsche Kunst ohne deutsche Seele ist nur eine Leiche. Viäsant
eonsulss. Momme Nissen

Rultur unsrer palriotiscken feste

Auch ein Notruf

Wir haben wieder einmal die Reichsgründungsseier und den Ge-
burtstag des Kaisers hinter uns, und wieder sind bei diesen Gelegen-
heiten ungezählte Festreden gehalten worden. Betrachtet man den Jn-
halt solcher Ansprachen und prüft sie auf ihren Wert hin, so erfaßt
einen Scham und Trauer, denn mit wenigen Ausnahmen sind sie ent-
setzlich hohl und phrasenschwulstig. Zwar ist es nach dem Sprichworte
der Ton, der die Musik macht, aber wir sollten uns endlich darüber
klar werden, daß es nicht genügt, wenn an patriotischen Festen jemand
mit Pathos immer wieder dieselben leeren Sätze in das Publikum schleu-
dert, das so und so viele Gläser Bier getrunken haben muß, um in die
nötige Hurrabegeisterung zu kommen. Jst denn wirklich von den Tat-
sachen der bedeutsamen Jahre 1870 und l87j und ihren Folgen, ist

2. Februarheft 1905 679
 
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