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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1904)
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Wilhelmine Schröder-Devrient
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0458

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Zum ersten Mal der „Fidelio" mit Wilhelmine Schröder-Devrient.
Was man auf der Bühne sieht, was man herabtönen hört, ist etwas
noch nie Erlebtes, laut- und atemlos folgen alle dem Erschütternden,
das sich dort begibt. Die Kerkerszene. Das junge Weib, das dort um
den Gatten bangt, leidet mit jenem ungehenren Leiden, das alle, die
dessen Zeuge sind, zu Brüdern und Schwestern macht. Die Töne ver-
sagen — „Töt' erst sein Weib", aus unsäglichen Schmerzen preßt
es sich nur heraus — ein Schrei ertönt, der mit keiner Note zu tun
hat, und aus Florestans „Was hast du um mich erduldet" befreit sich
unter Tränen das „Nichts, nichts, nichts", das die ungeheure Span-
nung im Hause wie unter höherer Gewalt in ein Beisallsbrausen
löst. — An jenem Abende ward der Fidelio endgültig der deutschen
Bühne gewonnen.

Und an jenem Abende entdeckte Wilhelmine Schröder-Devrient
ihre Kunst. Denn wie Großes sie ihren Hörern gab, etwas viel Größeres
noch hatte sie in sich selber erlebt. Eine große Sängerin im tech-
nischen Sinne war sie nie, und so geschah es heut, daß ihr vor innerer
Erregung die Mittel versagten. Jm höchsten Moment konnte sie nicht
mehr singen, aber die furchtbare Angst darum schmolz sich ihr zu-
sammen mit der Angst der Rolle, die sie spielte, die sie lebte. So
ward das Versagen des Körpers zum Triumphe des Seelischeu in
ihrer Kunst.

Wilhelmine Schröder hat das Seelische im deutschen Bühnen-
gesang zum Triumphe geführt. Noch einmal: eine große Sängerin
im technischen Siune war sie nie. Jhre Stimme war unbeträchtlich,
und auch ihre Gesangsbildung war schwach, denn sie hatte den Schritt
von der Schauspielerin zur Sängerin viel zu früh gemacht und an
regelrechter Schuluug nie recht nachholen können, was versäumt war.
Die Rezensenten, die mit den Anforderungen des italienischen Ge-
sanges an reinen Ohrengenuß vor sie traten, haben an ihr auszu-
setzen gehabt, solange sie lebte. Jhre Stimme war eines ihrer
Kunstmittel, aber auch das nicht in dem Sinne, daß sie seiner ge-
nießen ließ, sondern in dem, daß man durch sie, wie durch die
andern, ihrer, der Künstlerin selber, genoß, ihrer Seele genoß.
Nein, des Gehaltes genoß, den ihre Feuerseele, ergriffen an Kunst,
an ergreifendem Wahrheitsleben aus den Kunstwerken sog und von
sich aus weiterströmte. Sie schmolz, und mochten auch Schlacken bleiben,
die Kunst in Leben. Das Wort „Kunst als Ausdruck" kannte man
damals in dieser Prägung noch kaum, die Tat aber, die es bedeutet,
hat für die deutsche Bühne Wilhelmine Schröder-Devrient als Sän-
gerin zuerst getan.

Und es ist wunderbar, wie diesen Wesensunterschied zwischen Ge-
sang und Gesang jeder Empfängliche fühlte, auch wenn er ihn nicht
verstand. Wer noch Männer und Frauen gekannt hat, die sie aus
der Bühne gehört haben, der wird erstaunt gewesen sein, in welchem
Tone sie alle von ihr sprachen. Sie erzählten von Schauspiel und
Oper ihrer Zeit, wenn sie Kunstfreunde waren, wohl lebhast und
interessiert, das Einzelne sich vergegenwärtigend, das Meiste lobend,

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