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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0428

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öllge-

meineres

Kuß der beiden wohl bis zum Rande mit Schnee füllen können, wenn nicht
ein Metzgerbursch mit der Fleischmulde auf der Schulter gekommen wäre
und, um das Paar einen Halbkreis durch den Schnee tretend, gerufen hätte:

„G'segns Gott!"

Da schauten sie auf, noch ohne sich loszulassen, sagten zugleich:

„Danke schön'", und Herman rief ihm noch lachend nach:

„Mach's a so, no gheit di 's net!"

Dann hob Herman, während Klara ihren verschobenen Hut zurecht-
rückte, den Schirm auf, leerte und schloß ihn. Er nahm ihren Arm, und
sie giugen still durch den Schnee, der in großen Flocken herabwehte und
unter den Füßen krachte.

Plötzlich begannen beide in einem Atem:

„Elfride —", stockten und schauten einander erstaunt an. Klara ließ
seinen Arm los, reichte ihm den gekrümmten kleinen Finger, in den er
den seinigen eiuhakte, sie schwangen die so verbundenen Hände dreimal,
und das Wort, das ihnen in den Mund kam, war wieder „Elfride", und
schwangen noch dreimal, und zum dritten Mal kam beiden der Name der
Freundiu. Sie lachten über das langvergessene Backfischorakel und meinten,
nun müßte Elfriden das Ohr klingen.

Und wieder schritten sie wortlos durch das Flockengewimmel. Jn
der plötzlich über ihre Herzen gekommenen sonnigen Stille ruhten sie gleich-
sam atemholend aus, horchten träumerisch den neuen Stimmen und schauten
in die durchleuchtete Ferne.

So machten sie weite Umwege durch den nassen Schuee, ehe sie zu
Tante Ulrike kamen.

Um Mitternacht saßen sie im Bahnhofrestaurant, wo Klara zum ersten
Male nach Verlassen des Elternhauses zu Mittag gegessen hatte, und auch
jetzt sprachen sie weuig; nur manchmal sagten oder fragten sie etwas, um
es ja nicht zu vergessen, und lachten dann darüber, weil es so belanglos war.

Als es aber nach einer Stunde „Einsteigen" hieß, erschraken sie tief,
so plötzlich kam die Trenuung über sie und riß sie auseinander.

G Ein Dreiklang
Jm Berliner Museum hängt ein
kleines Bild ungewisser Herkunst. Als
wir es das letzte Mal sahen, war

es — irren wir nicht — auf die

Schule Verrocchios getauft; Brust-
bild eiues Mädchens mit herben,
aber doch jugendlich lieblichen Zügen;
darunter die Juschrift jlldl NL
Aus dem Katalog er-

fahren wir, daß es auch auf der

Rückseite eine Jnschrift trage, die
übersetzt also lautet: „Es war, wie
Gott wollte, und wird sein, wie Gott
will. Aus Furcht vor Schande und

aus dem einzigen Trieb nach Ehre
verschmähte ich, was ich erstrebte, und
dann, was ich besaß." Hat man diese
schwermütige Schrift gelesen, so ver-
schmilzt sie einem von da ab mit dem
Bilde. Man hat den Eindruck, sie
gebe in ihrer Sprache eiu Aehnliches
wie die Malerei in der ihrigen gibt.
Ob der Eindruck wohl noch stärker
werden könnte, wenn ihn eine dritte
Kunst zurückwürfe, etwa die der Ge-
schichtenerzählung? Wir fragen so,
weil sich unsrer Erinnerung eine
solche einstellte, rätselvoll und schwer-
mütig wie Jnschrift und Bild.

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Runstwart XVIII. 5
 
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