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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Wie feiern wir Schiller?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0584

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Me keiern iwir 8ekiller?

Nun schreiten wir also im Schillerjahr! Ersreulich zeigt es sich
schon jetzt: der Stolz auf unsern Schiller ist im deutschen Volke noch
allgemein. Seit langen Jahren zum ersten Mal werden wir wieder
die nationale Feier für einen Geisteshelden erleben, an der alle die
politischen Parteien teilnehmen werden, die sonst unser ösfentliches
Denken in Organe zerlegen oder auch bloß in Stücke. Der Konser-
vative wie der Sozialdemokrat, der Katholik wie der Protestant und der
Freigeist, ein jeder Begeisterungsfähige wird in Schillers Lob mit
Herzenswärme einstimmen, denn Männer aus allen Parteien werden
in ihm einen Verfechter ihrer eigenen Jdeale sehn. Das Volk der
Jdealisten sind ja immer noch wir, und ein Jdealist deutscher Sprache
lebe wie und wo es sei, er muß zu Schiller blicken. Davon und von
Schiller überhaupt werden wir später im Schillerhefte des Kunstwarts
sprechen. Für heute bitt ich für einige Bemerkungen um Gehör, die
sich nur aus die Schillerfeiern selber beziehen, die ja, groß oder klein,
zu Tausenden zu erwarten stehn, und auf das, was gelegentlich ihrer
den Freunden unsrer Bewegung überhaupt wünschenswert erscheint.
Der geschäftsführende Ausschuß des Dürerbundes hat in der letzten
Zeit wegen der Schillerfeiern eine Menge Anfragen ausgehen lassen
und erhalten, ich möchte von unsern Erfahrungen dabei und von unsern
Schlüssen daraus einiges zum besten geben, das uns beachtenswert
scheint. Was wir beobachten konnten, wiederholt sich ja gewiß auch sonst.

Zunächst, es überraschte uns, von verschiedenen gebildeten Män-
nern betont zu hören: es handle sich um die hundertste Wiederkehr
oon Schillers Sterbetag, und also müsse die Feier den Charakter
eines Totenfestes tragen. Das sind doch wir Deutschen, wie wir im
Witzblatt stehen, pedantisch bis zu der Konsequenz: erst seiern wir
den hundertsten Geburtstag vergnügt, ist das Sterben selber viel-
leicht auch erst zwanzig Jahre her, achtzig Jahre daraus aber werden
wir traurig, denn nun handelt sich's ja um den Todestag. Jch meine,
das ist künstlich, ich meine, das Natürliche ist: klagt um die Großen
bei ihrem Tod, ihre Gedenkfeste aber sind niemals Trauerfeste. Würden
wir sie feiern, wenn wir uns nicht des Geschenkes in Dankbarkeit
freuten, das dieses Mannes Leben für uns war? So sollte immer im
Blickpunkt unsres Geistes stehn das erhebende: er war unser. Ob
Geburt oder Tod, wir mejnen: die Freude an Schiller adle seinen
Gedenktag.

2. Ianuarheft ^05 533
 
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