Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1905)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Wie feiern wir Schiller?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0585

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aber freilich, wir verstehen das nicht, als gelt' es nun ein all-
gemeines Schwärmen und Schwögen zu erwecken, darin die schäu-
menden Wellen der Begeisterung alle kritischen Gedanken ertrünken.
Zwar nicht nur das Hernmkritteln an einem Schiller, nein, auch die
kritische Wägung besserer Art kann füglich unterbleiben, wenn wir
dem Volk von ihm sprechen, denn Törichteres könnten wir doch wohl
kaum tun, als in den Hirnen der gottlob noch Unbesangenen statt
der Freude am Genießen mit Herz und Phantasie die Lust am Kriti-
sieren mit dem Kopfe zu sördern. Anderseits: je größer einer ist,
desto mehr hat er ein Recht auf Wahrhaftigkeit aller, die vor ihn
treten. Aber gibt es nicht eine sehr einfache Antwort aus die Frage,
wie man die eine Forderung mit der andern verbinden kann, auch
wo man zum „Volke" oder zur „Jugend" spricht? Man betone das
Große, man betone vor allem das Größte an einem Mann, man ver-
weile dabei ohne pedantisches Verlangen nach „Vollständigkeit", und
gehe über die Schwächen ohne Beschönigung kurz hinweg, als über
gleichgültige Nebensachen. Sind sie denn in den Beziehungen eines
Großen zum ganzen Volke mehr? Entstehen nicht Gefahren erst, wenn
die schwachen Stellen i.n dem Bild, das wir geben, verpflastert oder
umgefärbt und umkostümiert werden sollen zu Stärken und Größen?
Wir sollten von ihnen, glaube ich, nur vor einem kritischen Publi-
kum davon sprechen. Vor einem Publikum, das den Schatten als
Mittel zur Rundung des Bildes aufzufassen versteht. Denn das Ge-
nießen anzuregen, das allein zu den dargebotenen Lebenswerten
sührt, dazu müssen wir doch wohl überall die Festesstimmung dieser
Zeit benützen, wie der Sämann die Lockerung des umgepslügten Bodens.

Soll die Stimmung bei den einzelnen Festen wirklich empfäng-
lich sein, so gehört etwas dazu, was man nach unsern bisherigen
„brieflichen Ersahrungen" noch sehr vielsach unterschützt: die Teil-
nehmer müssen auch wirklich nach aller Möglichkeit teilnehmen, sie
dürfen nicht bloß anwesend sein. Was die Schulen anbelangt, so
warnt durch uns ein hervorragender Schulmann, der gerade in diesem
Fall vielleicht vor allen zum Urteilen berufen ist, dringend davor,
auch die Schillerfeiern zu „sestlich, aber nicht einmal freudig gestimmten
Unterrichtsstunden" zu machen. „Wohin ich kam", so schrieb er uns,
„war der Verlauf all solcher Feiern noch immer der gleiche: Chor-
gesang, Festrede (wohl gar über ein wissenschaftliches, nur den
Redner interessierendes Thema), etwas deklamatorische oder musika-
lische Schüler-Darbietung, dann noch einmal Chor und zum Schlusse
womöglich noch Ermahnung des Direktors: eavsts tadoruam! Zeit:
morgens die erste Stunde, Ergebnis: ach, wär's doch schon herum,
Ausnahmen nur, wenn einmal ein begnadeter Lehrer sprechen durfte
und den richtigen Ton traf." Hat, der so schreibt, besonders schwarze
Lose gezogen? Jedenfalls erscheint ihm als erste Bedingung einer
rechten Schillerfeier, was auch uns als solche erscheint: wie der Sonn-
vom Wochentag sollte sich das Schillerfest unsrer Schulen völlig
herausheben aus dem Charakter des Unterrichts. „Die jungen Leute
selbst müßten alles machen, von der Festsetzung des Programms
bis zu seiner Ausführung." Die erste Anleitung dazu schon so vor-
sichtig wie nur möglich und vor allem ein Abweisen der Jdee, Schillern



53H

Runstwart XVIII, 8
 
Annotationen