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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Schultze, K.: Hebbels Tragik
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Göhler, Georg: Unser Bühnentanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0088

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Handlung sich abspielt, die erne ist die Weltbühne der Tatsachen, die
andere die des Theaters, die das Geschehene im „konzentrierten Re-
slex" wiedergibt.

Nur wo die innern Verhältnisse sich verwirren, hat die Poesie
eine Aufgabe, d. h. also, der Dichter ift nur da eigentlich Dichter, wo
er tragisch wirkt; er kann dies nur, wenn wir „in öer Kunst den
Punkt sehen, von dem das Leben ausgeht und den, wo es als einzelne
Welle sich in das Meer allgemeiner Wirkung verliert". „Der Tragiker
soll die sittlichen Menschen erschöpfen und in ewigen Symbolen hin-
stellen."

So wird die Poesie znm Gewissen der Menschheit, deren „böses
Gewissen die Tragödie erfunden hat". Hat also die Poesie die Ausgabe,
das Leben in seiner Gebrochenheit darzustellen und die Versöhnung
der Jdee zu zeigen, so wird Poesie so lange bestehen, wie es ein Leben
in seiner Gebrochenheit gibt, das heißt solange die Jdee sich noch ent-
wickelt. Sobald das Gewissen im Menschen ihn zum Bessern treibt
und der Mensch erst dann vollendet ist, wenn es kein Gewissen mehr
gibt, wenn kein Gewissen mehr nötig ist (Schillers schöne Seele und
Nietzsches Jmmoralist jenseits von Gut und Böse), so ist die Poesie
das Gewissen des Weltgeistes, der Welt, der Menschheit; die Mensch-
heit wird am Ziele sein und die Jdee völlig verkörpern, wenn es
keine Poesie mehr gibt, wenn k'eine mehr nötig ist, und die Poesie wird
nicht mehr sein, wenn die Menschheit mit der Jdee zusammenfällt.

Ein Rätsel bleibt aber bei allem. „Warum diese aufsteigende
Linie (der Entwicklung), die jeden höhern Grad mit so unsäglichen
Schmerzen erkämpfen mnß?"

Dies Rätsel ist nie zu lösen, auch der Dichter kann das nicht,
er hat zum Besten der Menschheit nur die Aufgabe und hohe Pflicht,
dies Rätsel immer neu zu dichten. A. Schultze

Ueber die persönliche Kunstleistung Jsadora Duncans in Bay-
renth mag man nrteilen wie man will; es wäre befremdlich gewesen,
wenn sie nicht dort aufgetreten wäre. Jm Grunde ist ja das Ziel
Jsadoras kein anderes, als auf dem Gebiete des Tanzes die Grund-
forderung Wagners zu erfüllen, daß in der Kunst alles Ausdruck,
alles Sprache werden solle. Sie nimmt damit ein Gebiet in An-
griss, das bisher am wenigsten ernsthaft und methodisch behandelt
worden ist. Denn die Forderung, daß auf der Bühne jede Gebärde
Ausdruck sei, ist außerhalb Bayreuths und außerhalb der Wagner-
ifchen Kunst selber aufsallend und gerade da am meisten vernach-
lüssigt worden, wo sie am schönsten und freiesten hätte ersüllt werden
sollen, im Tanze.

Es handelt sich dabei um Probleme, die ganz unabhängig von
der einzelnen Persönlichkeit erörtert werden können und die weit
über deren Leistungen und Pläne hinausgehen. Geben wir denen,
die's wünschen, ruhig zu, daß die Gestalt der Duncan ihre Schwächen
hat, geben wir zu, daß beim Tanz der drei Grazien die eine fich
nicht so sehr als Führerin herausheben sollte, und daß die beiden



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