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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 12 (2. Märzheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Der Dom
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Grunsky, Karl: Wie man Zauberflöte spielt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0868

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sichtlich des Religiösen und Sittlichen eine Entlastung bedeutet: über
ihren erstaunlichen Mangel an ästhetischer Kultur. Der trägt die
Schuld daran, daß man den „Ruf", der in dieser Ansgabe lag, gar
nicht hörte, daß man ihn gar nicht sah, daß man den Dombau Män-
nern anvertraute, die nicht nur nichts weniger als große Künstler,
die zum großen Teil überhaupt keine Künstler sind. Geister, die von
Begas' Kaiser Wilhelm-Denkmal, von der Siegesallee, von Werners
Bildern und jetzt von diesem Dome befriedigt waren, brauchen deshalb
so wenig flache oder unwahrhaftige Geister zu fein, wie die Unmufi-
kalischen, die der tiefer dringenden Mufik nicht mehr folgen können,
während eine Militärmufik ihre Nerven noch erregt. Man vergißt
gar zu oft, daß es ebensogut wie unmusikalifche Naturen auch „un-
künstlerifche" gibt, die ihr Leben lang in dem Sinne blind zu bleiben
verurteilt find, wie jene taub. Jm eigentlichsten Begriff: „sie wissen
nicht, was sie tun", wenn sie in Fragen der bildenden Kunst mithandeln.
Jmmerhin, sie sind felten, weit hüufiger sind gottlob die, deren Auge
nur nicht „geweckt" ist. Daß ihrer weniger werden, hat die ent-
schiedene Ablehnung bewiesen, die der Berliner Dombau gerade so gut
innerhalb der konservativen wie der liberalen und demokratischen, ge-
rade so gut innerhalb der kirchlichen wie der unkirchlichen Kreise ge-
funden hat. Und eben deshalb sehen wir in dieser bis zum Unwillen
gesteigerten Ablehnung eines der erfreulichsten Zeichen der Zeit. Um-
fomehr, als fie keineswegs, wie vereinzelte Verteidiger der preußifchen
Hofkunst fagen, wegen „Einzelheiten" den „Baumeister" „verriß", als
sie fich überhaupt nicht vorzugsweise gegen das im engsten Sinne
„Künstlerische" wendete, gegen die mißglückten Löfungsversuche spe-
zifisch architektonischer Probleme, sondern das völlige Versagen des
Baues als Ausdruck geistigen Lebens weit in den Vordergrund aller
Betrachtungen stellte. Von einer umfänglichen Leiftung der Hofkunst
zur andern ist die „öffentliche Meinung" an Sicherheit gewachfen,
denn die Produkte der preußischen Hofkunst haben den erziehlichen
Wert allgemein gesehener „Gegenbeispiele". So groß der Schaden
ist, den sie gestiftet hat, diefer ihr Nutzen ist vielleicht ebenso wichtig.
Jedenfalls hült fie die große üsthetische Bewegung unsrer Zeit nicht
auf, deren Endziel das Verftändnis und der Gebrauch von Kunst nicht
als Putz, noch als Draufgabe, sondern als Lebensäußerung, als
„Sprache des Unaussprechlichen" ist. Jn einer Allgemeinheit, die erst
endet, wo die normale natürliche Anlage fehlt, bei den ästhetisch Blin-
den oder Taubstummen also. A

Me rriLn Oa^bLrflöte spiell

Unglücklich lieben heißt heftig lieben. Davon wissen nicht nur
solche, die ein unglückliches Volk lieben, sondern besonders die Freunde
dramatischer Musik zu erzählen. Wie oft hatte ich den Besuch der
Oper verfchworen, weil vor mir und um mich Gefallsucht und Un-
geschmack war, und immer zogen mich die Meisterwerke wieder dahin,
wo sie allein zu blühendem Leben erstehen können. Zuletzt verlaß'
ich mich aus die heilende Kraft der Erinnerung; wenn man zu Hause
wieder liest oder fpielt, überkommt einen ja nur das Schöne der
Musik, und alles Unzulängliche der Aufführung wird vergesfen.

2. Märzheft lhOö 805
 
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