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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 12 (2. Märzheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Der Dom
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0867

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dreingeredet worden. Welche Sorte aber von Kunst hier herrscht,
an das zu erinnern genügt, daß rnan angesichts all der Aufträge
Anton von Werners Berus zum religiösen Maler entdeckte und ihm
und seinesgleichen alles Wichtige übergab. Und daß man, um so
efsektvoll wie möglich prahlen zu können, an dieser „ersten protestan-
tischen Andachtsstätte des Kontinents" nicht einmal vor Jmitations-
schwindel zurückschreckte. So steht der Dom zwischen Schloß zur
Linken und Mnseum zur Rechten als fremder Emporkömmling da,
sie, die Edelbauten, die diesen Platz vor ihm umthronten, übertrump-
fend durch seine neue Massigkeit.

Kunst läßt sich nicht bestechen. Man kann sich hinter ihre Worte
verstecken, man kann mit ihnen schauspielern, man kann lügen mit
ihnen, verstehst du sie erst, so sagt sie dir mit der Lüge zugleich, daß
sie lügt, wie Mime der Zwerg dem, der vom Drachenblute genippt
hat. Als im spüten Altertume das Altertümeln Mode ward, wie
glaubte man leicht die schlichtere Art zu treffen, und doch zeugen
uns Heutigen sofort jene archaistischen Gebilde nicht von unentwickelter
Krast, sondern von überseinerter Mache. Als man Michelangelo über-
trotzen wollte an Gewalt — viele Hunderte haben in Tausenden von
Werken die Muskeln und Gebärden seiner Gestalten überboten, wo
aber ward das scheinbare Mehr von Kraft nicht zum Zeichen der
Schwäche? Hier hilst eben alles Wollen, alles gelernte Können nichts,
das Jnnere „schlägt durch". Der von der Hand schnell hingesetzten
Linie siehst du an, ob sie nachgeahmt, ob selber gefunden, ob selber
erfühlt ist. Aus Giottos, aus Grünwalds ungeschickten Strichen er-
greift uns, was sie geben wollten an Gehalt, stumm aber bleibt,
was des rasfinierten Könners Stist, der an aller Linienkunst aller
Blütezeiten nachgelernt hat, hinmalt mit dem fleißigen Bemühen, vor-
zumachen, was er nicht in sich trägt. Tausende von Dorskirchen rings
im Land grüßen mit stiller Andacht, Hunderte von getürmten Kathe-
dralen oder gekuppelten Domen bannen in die Stimmung hochamt-
licher Weihe. Es schmerzt, sich klar zu machen, was dagegen dieser
Dom besagt. Wie soll über ihn ein Künftiger urteilen, der Berlin
bespricht? „Ein Werk ohne Jnnenkraft, ohne Persönlichkeit, in der
Anlage nicht meistermäßig vorgeschaut, sondern lehrlingsmäßig nach-
gedacht und mit Fehlern, wie sie Schüler machen, an Kosten mit
Millionen zu Verhältnissen ausgesührt, denen die Größe fehlt und
deren Masse doch aus der herrlichen Nachbarschast lastet, ist der Bau
Zeugnis eines Geistes, dem höfische Eleganz dasselbe wie Feier-Er-
habenheit schien, und dessen Protestantismus im Kerne katholisch war."
Sollte die Zukunft über den Berliner Dombau urteilen dürsen?

Nein! Wir stehen wieder an einer Grenze: auch, wer den Dom-
bau noch so gering einschätzt, sühlt, daß die Zukunst s o darüber nicht
sprechen wird.

Kunst läßt sich nicht bestechen. Sie hat hier nichts von dem
ausgesagt, was man von ihr verlangt, und an seiner Statt sehr vieles,
was unerguicklich ist. Aber zunächst einmal: sie känn bei diesem Dom-
bau doch nichts über mehr im Volke aussagen, als über die, die ihn
errichtet haben. Und auch von denen sagt sie nicht nur über Sitt-
liches und Religiöses aus, sondern auch noch über etwas, was hin-

80H Runstwart XVIII,
 
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