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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 8 (2. Januarheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Wie feiern wir Schiller?
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Gregori, Ferdinand: Vorleseabende
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0589

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eine andre Bedeutung. Bei den Protestanten aber hat sich schon bei
unsern ersten Erörterungen die Mehrheit auch der mitredenden Geist-
lichen sür die Oeffnung der Kirchen zu ernsten weltlichen Feiern aus-
gesprochen. Wie wird es an den Schillertagen werden? A

Vorleseabencie

Wenn ich strebsamen Vereinigungen Winke über die Zusammen-
stellung ihrer Vorleseprogramme geben soll, so bin ich mir stets bcwußt,
nur halbe Arbeit zu tun. Nur das Was und nicht das Wie kann ich
dabei bedenken. Und das Wie ist doch so wichtig, daß es das rüchtigste
Was totschlagen kann. Jch erinnere mich der Vorleseabende, wo ich
Hörer gewesen bin, und srage mich ernstlich, was mir mehr gesallen
und mehr mißsallen hat: gute Gedichte in erbärmlicher verständnis-
loser Wiedergabe oder schlechte in wirkungsboller? Harmonischer wirkten
entschieden die schlechten. Wir wissen alle, wieviel Schaden ein Schau-
spieler anrichten kann, der ,eine Rolle „verhaut"; er verursacht oft
das Durchsallen eines guten Stückes. Nicht anders steht der Rezitator
zu seinem Dichter; er kann ihn umbringen, solche Macht hat er beim
Vorlesen. Natürlich eignet ihm diese Macht nur sür die Dauer eines
Programms. Aber schon das Ledeutet viel, denn nur selten werden
Hörer zu nachprüsenden Lesern; um so seltener, je geringer der Ein-
druck der Vorlesung war.

Es ist also ebenso notwendig, gute Vorleser zu bestellen, wie
gute Programme auszusetzen. Findet man nicht den rechten Vermittler,
so verzichte man lieber für die Oeffentlichkeit aus eines großen Dichters
Gaben, als daß man sie besudeln lasse. Man genieße sie daheim
mit unbewegten Lippen und warm pulsierendem Herzen. Jch vermag
auch keine Regeln sür den Vorleser zu schreiben, außer daß er gut
hochdeutsch sprechen müsse. Aber ich bin sehr anspruchsvoll und ver-
lange von ihm, daß er zwar eine Persönlichkeit habe (denn ohne die
gibt es ja überhaupt keine künstlerische Wirkung), sie aber zugunsten
des Dichters bändige. Er soll nicht an sich und seine Wirkung denken,
sondern an die Verlebendigung des Kunstwerks. Er ist schon erträglich,
wenn er ohne Mätzchen zu machen die Seiten herunterliest; da kann
sich wenigstens der ausmerksame Hörer allerlei Schönes hinzudenken,
während von einem ausdringlichen Schreier die Phantasie des Hörers
niedergetreten wird. Vereinigt sich aber ein modulationsfähiges Organ
mit inniger Liebe zum Gegenstande, ein feiner Geschmack mit guter
Technik, dann können bei der Vorlesung Tiefen zutage kommen, die
bei der stummen einsamen Lektüre daheim nicht zu sinden sind. Und
je selbstloser der künstlerisch empfindende Vermittler ist, um so reicher
wird er sich belohnt sehen. Nicht nur, daß er die Schöpfung des
Dichters und ihre Herrlichkeit in seinem' Jnnern genießt, er sühlt
auch, wie durch ihn Hunderte von Menschen sie mitgenießen. Oben-
drein sällt ihm der Beifall als Dank in den Schoß — was will ev
mehr? Ob er bescheiden -genug ist, neun Zehntel der Huldigung dem
Dichter zuzuschreiben, darüber soll man als über eine Nebensache nicht
mit ihm rechten. Mag er für fich nehmen, soviel er will, Hauptsache
bleibt, daß es ihm gelungen ist, mit ehrlichen Herzensmitteln einem



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Runstwart XVIII, 8
 
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