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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Winterreisen
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Enking, Ottomar: Weihnachtsaufführungen: ein Rück- und ein Ausblick
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0515

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wir wieder unsrer eignen Geschöpfe Herren, wenn die Adern vom Ur-
sprünglichen her weiter sließen. Wir Großstädter leben nicht unge-
schwächt und unverarmt allein zwischen Holz, Eisen und Stein und
Leinwand und Papier, die wir nns selbst gesormt haben und die des-
halb, wie sie nun als Tisch und Haus und Straße und Bild und Buch
und Zeitung dastehn, nur immer uns selber wiederspiegeln. Wir
brauchen den krafterneuernden Ersatz aus den Zusammenhängen mit
Himmel und Erde, aus den Quellen.

Und so schließen wir unsre Neujahrs- wie unsre Weihnachts-
betrachtung mit einer Binsenweisheit. Aber wieviel geschieht denn, um
auch dieses Selbstverständliche aus dem Gedanken Leben werden zu
lassen? Gewiß, viel kann da aus andre Weisen geschehn, und was ich noch
erwähnen möchte, hat durchaus keinen höheren Wert als den einer
Stichprobe. Jch war zu vorigem Neujahr auf einer schönen deutschen
Jnsel, die mehrere große Bäder und durchschnittlich insgesamt 30 000
Sommergüste zählt. Aber ein „Wintersportplatz" ist sie nicht. Winter-
gäste hatten während der vier Wochen, die ich dort arbeitete, abgesehen
von ein paar vorüberhuschenden Geschäftsreisenden, ihre „Kurorte" alle
miteinander ganz genau gerechnet: vier, nämlich die mit mir waren,
und mich A

Meiknaekt8aukfükrungen

Lin Rück- und ein Ausblick

Es hat sich herausgebildet, daß gerade die Adventswochen, die
für das Gemüt eine fröhliche, aber stille Vorbereitungszeit auf das
Christsest sein sollten, die lauteste und unruhigste Periode des Jahres
sind. Die allgemeine Losung, die sich nns überall aufdrängt, heißt:
Geld verdienen, und da die Theater, wenn sie sonst auch hin und wieder
von künstlerischen Gesichtspunkten aus geleitet werden, schließlich doch
auch kaufmännische Unternehmungen sind, so kann ihnen nicht verdacht
werden, daß auch sie einen Arm des großen Goldstromes, der sich
vor Weihnachten über die Geschäftswelt ergießt, auf fich selbst zu
lenken suchen. Um das zu bewirken, führen fie sogenannte Kinder-
mürchen auf. Unsre Kleinen find ja für gewöhnlich vom Theater so gut
wie ausgeschlossen. Mancher wird das für richtig halten, denn es ist
nicht jedem Kinde nützlich, daß seine Phantafie frühzeitig durch starke
Eindrücke erregt wird, mancher aber wird es auch bedauern, weil es
zur Bildung des Auges und des Ohres kaum ein besseres Mittel geben
könnte, als eine Theatervorstellung, worin sich lebendige Plastik mit
einsacher Musik und vielleicht auch gesälligem Tanze verbündet, ganz
abgesehen von der eindringlichen Wirkung des gesprochenen, gehalt-
vollen Wortes. Wir sind durch das Verlangen unserer Zeit nach Echtheit
und Wahrheit weit sortgeschritten in dem, was wir dem heranwachsenden
Geschlechte an Bildern und Liedern bieten, und sicherlich würde es
daher auch nicht schaden, wenn wir ein wirkliches Kindertheater hätten.
Das Bedürsnis danach ist jedenfalls vorhanden, denn kaum jemals
sind die verschiedenen Schauspielhäuser so besucht, als wenn sie um
Weihnachten ihre Märchenaufführungen bringen. Jhre pekuniären

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Runstwart XVIII, 7
 
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