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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Nur eine Fachfrage oder mehr?
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Aram, Kurt: Neue Romane von Frauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0151

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Techniker in einem sein, mag man beide Wörter in so bescheidenem
Sinne nehmen, wie man will. Die Hälste etwa der Lehrzeit gehöre
der Wissenschaft, die andre Halfte etwa der Kunst. Jn der Formen-
lehre tuen's die Kenntnischen nicht, und am allerwenigsten die über
Denkmalsbauten von Griechenland und Jtalien — man spare die
Stunden dasür, man zeige das Bürger- und Bauernhaus, wie es in
der Heimat war nnd wie es in der Neuzeit werden kann. Dann dehne
man aus die Uebungen im Gestalten rein aus dem Material und dem
Zwecke, man Pflege noch mehr Konstruktionslehre als eine praktische
Lehre vom Wesen des Stils, die sich auch mit der Statik nahe be-
rührt. Vor allem aber Pflege man jene allgemeine ästhetische Gr-
ziehung, die ohne kleinlichen Hinblick aus das geschästsmäßige Aus-
nützen die Linien, die Formen und auch die Farben zu sehen, und die
bei dem Gesehenen etwas zu fühlen lehrt. Das sind unsre Forde-
rungen an eine Resorm der Baugewerkschulen. A

L^Ornans von frauen

Es ist sast rührend, zu beobachten, wieviel Gemeinsames eine
modernc Schriftstellerin mit der seligen Marlitt haben kann. Es muß
sich da doch um typisch Weibliches handeln, das bei ähnlichen Tem-
peramenten immer wieder an die Oberfläche kommt. Gabriele
Reuter z. B. steht seit ihrem Roman „Aus guter Familie" in der
modernsten Reihe der Schriststellerinnen, und doch kommt sie, wie
vielleicht besonders deutlich ihr neuester Roman: „Liselotte von
Reckling" (Berlin, S. Fischer) zeigt, von der Marlitt nicht ganz los.
Es sei darüber — schon der Abwechslung halber — einmal nicht
gespottet, sondern lieber versucht, dies typisch Weibliche, dem wir immer
wieder begegnen, zu umschreiben. Trotz des Wirklichkeitsfanatismus,
unter dessen Einfluß auch Gabriele Reuter Schriftstellerin wurde, trotz
der Akribie der Beobachtung, wozu die Frau schon von Natur mehr
Talent mitbringt als gemeinhin der Mann, bleibt ein Marlittrest im
Jnnern dieser Frau, der etwas ganz anderes will, als Wirklichkeit
und Beobachtungen, und dem augenscheinlich immer wieder nachgegeben
werden muß, will eine solche Schriftstellerin selbst an ihrer Produktion
vollen Gefallen finden. Es ist vor allem der Trieb, um jeden Preis
zu idealisieren. An sich einer der besten und auch heute noch allge-
mein menschlichen Triebe. Seine Besonderheit zeigt sich aber darin,
daß er immer wieder mit allem sonstigen literarischen Vermögen durch-
geht wie ein Roß, das zu lange stille stand und keine Arbeit hatte.
Wird es losgelassen und nicht fest im Zügel gehalten, geht es dem
Karren samt seinem Jnhalt übel, an den es gespannt ist. Kommt die
Marlitterei über unsre Schriftstellerin, so wirft sie den sauer erwor-
benen guten Geschmack und alle errungenen literarischen Fähigkeiten
über den Haufen und rennt mit dem ganzen Roman in vollem Lauf
in die himmelblauen Lüfte, wo es keine Erdenschwere und keine tel-
lurische Psychologie mehr gibt, wo sich die Gier nach Jdealisierung
ungehindert austoben kann. Da ein solcher Anblick nichts Lebens-
gefährliches hat, lächeln wir auf der festgegründeten Erde darüber.
Daher der spöttische Nebenton, der dem Namen der Marlitt nun ein-



t2S

Runstwart XVIII, Heft 3
 
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