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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
DOI Artikel:
Aram, Kurt: Neue Romane von Frauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0152

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mal anhaftet. Während aber unter der Jdealisierungssucht der Marlitt
ihre Romanmännlein und -weiblein gleicherweise entmenschlicht wurden,
ist das heute, zur Zeit der Frauenfrage, meist anders. Jetzt leidet
sür gewöhnlich nur ein Geschlecht darunter, und zwar das weibliche
dann am meisten, je mehr die Schriftstellerin der Frauensrage zugetan
ist. Jhre Lebenstendenz hindert eine solche Schriftstellerin, den Mann
himmelblau zu übermalen, eher noch malt sie ihn teufelsschwarz. Sie
hat für die Schwächen und Mängel der Münner geschärfte Augen
mit auf den Weg bekommen. Das legt ihrem Marlitttrieb Zügel an,
und wenn sie nicht beschränkt genug ist, um aus den Münnern um
jeden Preis Kanaillen zu machen, gereicht das ihren Romanen nur
zum Vorteil. So verhält es sich bei Gabriele Reuter. Der männliche
Held ihres neuesten Romans ist eine Art Egidy, der hier bis ins
Kleine Modell gestanden haben dürfte. Also an sich schon ein Charakter,
der Frauen besser liegt als weniger idealistische, erdenschwerere Manns-
naturen. Nur selten entgleist hier die Versasserin, und auch nur dann,
wenn sie mit den verliebten Augen ihrer Heldin diesen Mann sieht.
Sonst ist diese unklare, edle, aber feminine Natur bis ins Kleinste
ausgezeichnet beobachtet und wiedergegeben. Um so schlechter ergeht
es der Heldin Liselotte, der die ganze Liebe der Verfasserin gehört.
Ach, dies wundervoll zarte und feine Menschenbild! Gar nicht duftig
genug kann man sie schildern, gar nicht zart genug die Farben mischen.
Da kann die Reuter schwelgen und ihrem ideologischen Ueberschwang
Futter geben. Von dem Erdenrest, üer schließlich doch auch der ver-
geistigtsten Liselotte noch anhaftet, merken wir bald gar nichts mehr.
Selbst ihre Erotik gerät ins Blümerante. Für ihre Hingabe an Alten-
hagen, ihren Mann, werden solgende Worte gewählt: „ . . . Sie war
es nun, die, eine Galathee auf dem leichten Muschelwagen der Liebe,
sich jauchzend den Schleier der Scham von den schlanken Hüsten riß
und ihn als Wimpel in den Lüften flattern ließ, während sie sich
triumphierend von der Brandung seiner Leidenschaft zu den Gesilden
der Seligen tragen ließ." Verstiegener und unnatürlicher kann man
sich nicht gut ausdrücken. Kein Wunder, daß man baß erschrickt, als
Liselotte plötzlich wie andre Erdenweiber ein Kind gebiert. Man kann
sich dies ätherische Gebilde in so realer Situation einfach nicht vor-
stellen.- Gewiß, Einzelheiten in der Schilderung dieser Frauenseele sind
ausgezeichnet, aber als Ganzes verliert sich die Figur in nebelhafte
Fernen, ein holder Schemen, aber kein Mensch, eine echte Marlitttat.
Aehnlich ergeht es der Episode mit dem wunderbaren Kranken Ex-
zelsior Nikodemus Stuart. Er ist gelähmt, hat aber einen Kopf, dessen
prachtvolles Profil und rundes Kinn an die Büsten römischer Jm-
peratoren gemahnt, und die welken, bleichen, von Leiden gezeichneten
Hände ruhen aus einer violetten Samtdecke. Solche Jnszenierung sagt
genug. Wo dagegen das Herz der Schriftstellerin weniger heiß brennt,
gibt sie gute Charakterzeichnungen, wie z. B. die der flatterhasten,
ewig jungen Mutter Liselottes. Und ist sie nicht auf den Schwung ihrer
Phantasie, sondern auf die Wiedergabe realer Beobachtungen ange-
wiesen, so bietet sie Vortrefsliches. Hierher gehört vor allem die Schil-
derung des Kreises der „Erneuerten" um Gras Altenhagen. Mit
scharsem Blick und gesundem Urteil beschreibt sie das Treiben. Ganz



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