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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
DOI Artikel:
Aram, Kurt: Neue Romane von Frauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0153

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kostbar ist z. B. die Schilderung des Frühlingsfestes der „Erneuerten",
wo diese im Grunde recht nnchternen nnd meist auch kleinen Seelen
sich mühen, anf Kommando pantheistisch heiter zu sein. Als Ganzes
besriedigt der Roman nicht, wohl aber ist er partieenweise sehr reiz-
voll nnd lesenswert.

Ganz anders sind die Bücher von Frieda Freiin von Bülow.
Das Gefühl geht nicht so leicht mit ihr durch. Macht es doch den
Versuch, merkt es zumeist der kühle Verstand und hält nach Kräften
znrück. Nicht immer gelingt ihm sein ernüchterndes Werk, aber doch
meist. Die Hanülung ihrer Romane ist klar, ihre Sprache lieber etwas
trocken als überschwänglich, die Zeichnnng der Charaktere lieber korrekt
als ins Rosenrote oder Teufelsschwarze gesürbt. So haben die meisten
ihrer Bücher etwas Solides und Tüchtiges nnd ähneln darin den
guten englischen Romanen aus weiblicher Feüer. Diese Art ist selten
bei uns und schon deshalb beachtenswert. Da bei der Freiin von
Bülow zuüem noch alles von einem gut kultivierten Geist zeugt, erst
recht. Ganz freilich entgeht auch sie nicht üer Frauenart, auf Kosten
der Wahrscheinlichkeit zu idealisieren. Jn einem neuen Roman:
„Allein ich will!" (Dresden, Reißner) hat der Held ein wenig
darunter zu leiden. Es ist ein junger, asketisch gesinnter, protestan-
tischer Geistlicher, der um seiner religiösen Ueberzeugung willen alle
atavistischen Neigungen — er stammt aus vornehmem Hanse — nach
Komsort und ästhetisch reizvollen Lebensumständen unterdrückt, der
zugleich in hartem Kampfe liegt mit eingebornen Herren- und Herr-
schastsinstinkten. Er erwählt sich die ärmste Pfarre, verlobt sich jedoch
mit einem wohlhabenden Landedelfräulein, deren gewohnte Lebens-
haltung und Lebenswünsche natürlich seinem asketischen Jdeal ent-
gegenstehn, dasür aber seinen eigenen, ererbten Neigungen und Jn-
stinkten neue Nahrung geben. Allein er will auch sie zur Asketin
machen. Auch sie soll besiegen lernen, was seiner Anschauung von
Christlichkeit widerspricht. Dieser Kampf zwischen der etwas zusammen-
konstruierten Ueberzeugnng des Mannes und der lebenswarmen, natür-
lichen Art der jungen Braut steht im Mittelpunkt des Romans. Viel
feine und kluge Beobachtung, reise Menschenbetrachtung steckt in diesen
Partieen. Aber der Psarrer ist doch gar zu sehr nur von einer
Seite gesehn, hat zu wenig Fülle, also Menschlichkeit, nm wirklich
lebendig vor uns zu stehn. Bekam die Marlitt ihren Tendenzkoller,
verfuhr sie mit ihren angeblichen Menschen genau so. Aber für diesen
Fehler entschädigt unsre Schriststellerin durch die Nebensiguren, die
ihr um so besser geraten, je weniger seelisch kompliziert sie sind. Grade
darin offenbart sich ein ausgesprochen dichterisches Talent. Einsache
Menschen lebendig und so immer interessant zu gestalten, ist keine
kleine Aufgabe. Sie gelingt Frieda von Bülow besonders in der
Figur des Freiherrn von Höllen und in der Gestalt seiner Tochter
Gunne, der Braut des jungen Geistlichen. Der Vater ein prächtiger,
a.n Leib und Seele gesunder, am Leben gereifter Landedelmann, die
Tochter sein ins Jugendliche nnd Weibliche übersetztes Ebenbild. Diese
Gunne gehört zu den ganz wenigen Backfisch- und Jungmädchen-
gestalten in der zeitgenössischen Literatur, die wirkliche Menschen
sind — und zwar gesunde — und keine albernen Zierpuppen. Man



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Runstwart XVIII, ^est Z
 
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