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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
DOI Artikel:
Aram, Kurt: Neue Romane von Frauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0154

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liebt dies warmblütige Geschöpf, das so gar nichts „Besonderes" vor-
stellt, wie ein Stück Natur. Schon um deswillen verdient das Buch
gelesen zn werden.

Erscheint mir so das zuerst besprochene Buch als das charak-
teristische Produkt eines ganz bestimmten Frauentypus: nämlich der
gemütsweichen, leicht überschwänglichen, von Modernitis etwas ange-
kränkelten, aber gescheiten Tochter aus „guter Familie", das zweite
aber als typisch für ein bodenständiges, kluges und gebildetes Edel-
fräulein, so finde ich in dem dritten, mir vorliegenden Roman:
„D a s schlafende Heer" (Berlin, E. Fleischel L Co.) von
Klara Viebig wieder eine ganz andere Art. Schon das ist
sür Klara Viebig bezeichnend, daß sie so resolut ein Problem
anfaßt, über das sich die Politiker schon lange den Kopf zer-
brechen, an dem sich schon mancher unter ihnen die Finger ver-
brannt hat: die Polenfrage. „Das schlafende Heer" will diese Frage
natürlich nicht lösen, wohl aber mit künstlerischen Mitteln, aus Grund
eigener Beobachtungen, möglichst nach allen Seiten hin vor uns ans-
breiten. Und zwar die Polenfrage in ihrem augenblicklichen Stadium,
wo sie durch die Ansiedelungskommission zur Stärkung des deutschen
Elements in Westpreußen und Posen ihr besonderes Gesicht bekommen
hat, dieser scheinbar friedliche Wettbewerb zwischen den beiden Ele-
menten, in dem doch immer die kriegerische Glut lodert, die der Kampf
ums Land nun einmal in Mischprovinzen an sich hat; und nun gar
in Posen! Typen aller Schichten, die hier in Betracht kommen, werden
vorgeführt, verständlich und lebendig gemacht. Eine Fülle von Men-
schen aus beiden Lagern. Der geschmeidige, nationalpolnische, aber
leichtfertige Edelmann Garczynski mit seinem ganzen, ein wenig
pariserisch auflackierten Hauswesen, der fanatische, intrigante Vikar
Gorka und alle andern Ärten Polen, von den Wanderarbeitern aus
Russisch-Polen bis zur dichterischen Verkörperung des polnischen Volks
in dem alten Hirten Dudek, der nur von Polens Freiheit träumt
und wartet, daß das polnische Heer ausstehe zum Kamps, das nach
der Sage im Lysa Gora schläft. Dem gegenüber der bewußt deutsch
gesinnte Edelmann Doleschal auf Deutschau, der für die Germanisie-
rung kämpst, mit seinem typisch deutschen Haushalt, die niederrheini-
sche Bauernfamilie Bräuer, die in Polen sich ansiedelt, und andre
mehr. Als Zwischengruppe die schon polonisierten Deutschen und vor
allem der grämliche Gutsbesitzer, Herr Kestner, dem das Deutschsein
ganz gleichgültig, dem die Hauptsache ist, möglichst viel aus dem
Boden herauszuschlagen, und der grade dadurch ein Haupthindernis
der Germanisierung bedeutet. Kompliziert wird die Lage im Roman —
genau wie in der Wirklichkeit — noch durch Konsessionssragen, denn
den Bräuers, die darauf angewiesen sind, zu den deutschen, aber pro-
testantischen Doleschals zu halten, wird das erschwert, ja auf die Dauer
unmöglich gemacht, da sie gut katholisch sind. Jn dieser Fülle von
Gestalten — es ist keine vergessen, üie zurzeit irgendwie in Betracht
kommen kann — spielt sich nun der Wettkampf der beiden Rassen
vor uns ab. Jst man selbst einmal mit offenen Augen für das gleiche
Problem wochenlang in Posen herumgereist, hat man erst am eigenen
Leibe erfahren, wie schwer es ist, aus der ganzen Wirrnis die Haupt-



l. Novemberheft

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