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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0535

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I^ose ZlLttsr


Aus Karl Spittelers „Olyrnpisckevn ^rukUng^

Vorbemerkung. Nun ist der vierte Band des „Olympischen
Frühlings" erschienen. Und damit wäre das reifste und größte Werk des
erften, nein, des einzigen deutschen Epikers der Gegenwart vollendet.

Unter den Literaturleuten gab's vorigen Sommer eine kleine „Sen-
sation". Felix Weingartner, der Musiker, stieß in einer süddeutschen Zeit-
schrist mit vollem Ton einen Weckruf für Spitteler aus. Da lebe ein

Dichter, dem nnr die Größten noch ebenbürtig seien und sei fast sechzig
Jahre alt und schier keiner anßerhalb seiner Heimat kenn' ihn! Mit
Verlaub, das stimmt nicht ganz: Ueber siebzehn Jahre lang ist Spitteler
Mitarbeiter am Kunstwart, seiner Dichtung haben sich in nicht weniger
als fünf Heften schon nnsre „Losen Blätter" geösfnet, und der „Olym-
pische Frühling" ist hier sogleich beim Erscheinen des ersten Teils (im
ersten Jüliheft 1900) ausgiebig vorgestellt worden. Und dabei ist gar

kein Ruhm für mich, denn der eigentliche „Entdecker" Spittelers war

schon vor rund zwei Jahrzehnten wohl I. V. Widmann, lange vor mir

schon hatten ihn Keller nnd C. F. Meyer gewürdigt, und bei der Be-
gründnng des Kunstwarts hatte besonders Nietzsche mich ans ihn hinge-
wiesen, Nietzsche, der übrigens dem ersten Spittelerschen Werke „Prometheus
und Epimetheus" wesentliches für seinen späteren Stil verdankt. Aber
trotzdem, Weingartners Erstannen war im Recht. Dentt sonstwo hat man
in der Tat jahrzehntelang nur in der Schweiz öfter einmal etwas von
Spitteler gelesen. Jnsbesondre bedeutet es alles eher als einen Ruhm
für unsre „Moderne", daß sie auch Spitteler übersah, daß sie wohl im
Anslande bis zrr den kleineren Leuten suchen ging, daheim aber in der
Hauptsache immer nur wieder zwischen Hauptmann und Liliencron und
Dehmel hin- uni herlief.

Ueber Spitteler gesprochen hat auch der Kunstwart nur ganz wenig
nnd niemals ausführlich, denn unser alter Brauch verbietet das ja bei
„Leuten vom Bau". Heute, wo mein ältester Mitarbeiter sein bestes
Lebenswerk vollendet hat, stell ich diesen Gebrauch einmal kühlen Gemüts
beiseit. Denn mehr als siebzehn Jahre Schweigen über die dichterische
Kraft eines Arbeitsgenossen genügt zu dem Beweise doch wohl, daß man
keine Cliqnen-Aufloberei betreibt. Und wenn die Herren vom kritischen
Metier so wenig selbst finden können, daß die vom mufikalischen das
Publikum auch in Dichtersachen dirigieren müssen, dann ist's an der Zeit,
von einem großen Kerl zu sagen: dort steht er, wenn er auch zwischen
uns selber steht.

„Das Buch ist von vorn bis hinten voll der auserlesensten Schön-
heiten. Schon der wahrhaft epische und ehrwürdige Strom der Sprache
umhüllt uns gleich mit eigentümlicher Stimmung, ehe man das Geheimnis
der Form noch wahrgenommen hat. Jch bin gerührt und erstaunt von der
selbständigen Kraft nnd Schönheit der Darstellung der dunklen Gebilde.
Trotz der kosmischen, mythologischen nnd menschheitlich zuständigen Zer-
flossenheit und Unmöglichkeit ist doch alles so glänzend anschaulich, daß

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