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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Dresdner, Albert: Von neueren Meistern
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0534

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des Schöpfers dastehen wird. Klinger hat in seinem Beethoven die
Qualen, doch nicht den Sieg des fchaffenden Künstlers dargestellt. Die
Gestalt dieses ringenden Titanen ist düster, und kein Strahl sonnenhaften
Siegfriedswefens bricht leuchtend aus seinen Zügen hervor. Hart prefsen
fich die Lippen zufammen, Qual und Leid haben tiefe Furchen in das
Antlitz eingegraben; die geballten Füuste felbst scheinen von der Ver-
zweiflung, der Wut zu sprechen, mit der dieser Ringer den Kampf
um das Leben der Geschöpfe feines Geistes führt. Aus dem fiegreichen
Gott-Künstler ist ein schwer ringender Menfch-Künstler geworden. Nicht
Beethovens göttergleiche Schöpfermacht hat Klinger dargestellt, son-
dern das bittere, verzweifelte und hoffnungslose Ningen Hans von
Marses' um die räumliche Verwirklichung der hoheitsvollen Gestalten
feiner Phantasie, ja das leidenschaftliche Ringen des modernen Künstlers
überhaupt, dem das neue Jdeal schon nahe, greifbar nahe vor der Seele
fchwebt und der es doch noch nicht faffen, halten, gestalten kann, und
damit auch das Ringen des modernen Menschen, der mit aller Macht
der Erfüllung des erfehnten Jdeals zudrüngt und dennoch oie ge-
waltig angespannten Kräfte fruchtlos zerrinnen fühlt. Jn diesem Sinne
betrachtet, ist Klingers Beethoven eine Tat, ist er ein großartiges Be-
kenntnis nicht allein des Künstlers felbst, fondern feiner ganzen Zeit.
Er faßt den Jnhalt der künstlerischen Arbeit des V- Jahrhunderts
zusammen und gibt ihr einen neuen Jmpuls; er zeigt den Willen
auf die Bildung eines neuen Jdeals vom fchöpferifchen Menschen kon-
zentriert und die besten Kräfte in feinen Dienst gestellt. Allein das
Glück der beseligenden Ahnung, einer neuen großen Zeit Bahn zu
brechen, bezahlen wir damit, daß wir wohl die Qualen des Schaffens,
doch nicht die Seligkeit der Vollendung erleben. Noch stehen wir vor
den Pforten des neuen Reiches; doch die Anzeichen unseres gewaltsam
angefpannten Lebens zeigen uns an, daß die Stunde naht, da die
Riegel fallen werden. Jene ungeheure Prefsung aller Kräfte, die Goethe
so treffend als das Kennzeichen der Zeit Götzens bezeichnete und die
sich dann in dem großen Werke der 'Reformation auslöste, bildet auch
den eigentlichen Charakterzug des Lebens unserer Tags, und auch fie
wird fich in einer Reformation, in einer Erneuerung unseres Lebcns
auslöfen, die die Vollendung des vorzeitig gelähmten und verstüm-
melten Werkes der Reformation der Deutfchen bilden wird. Vielleicht
weilt der Genius fchon unter uns, der durch die Macht des neuen
Jdeals unfere zu Boden gedrückten Kräfte befreien und beflügeln, der
uns zu Herren eines neuen Lebens machen wird. Wann er aber auch
erscheinen mag, — an uns ist es, die Lampen brennend zu erhalten
und alles Beste in uns dem Jdeale entgegenzubilden, das wir von den
Künstlern des 20. Jahrhunderts erhoffen.

l. Lanuarheft H87
 
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