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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 9 (1. Februarheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0693

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unsre heilige Kirche verlangt es. O Traute! Traute! wie freu ich mich,
daß ich bald wieder in delner Nähe bin! Jch bete jeden Morgen und
jeden Abend zum lieben Heiland, daß er uns wieder zusammenführen möge
wie damals. Das war schön! himmlisch schön! Weißt du, was mir der
heilige Benediktus gesagt hat: Geh nur rnhig hin zur Traute, die tut
dir nichts! Und Doktor Brockhus hat gesagt, du seist ein Engel, den mir
Gott über den Weg gesandt habe. — Ja, ich will gut sein und immer besser
werden, lieber Herr Rektor! Und ich danke Jhnen und allen Lehrern von
ganzem Herzen für all das Gute und für all das Schöne. Und ich will
im nächsten Jahre wieder eine Prämie erobern. Und das mit dem Rot-
kehlchen, ich bitts, verzeihen Sie mir das! Es ist aber alles wahr, was
ich hier geschrieben habe. Und ich meine es gut, und ich liebe alle Menschen.
Denn was nützten mir alle Güter des Geistes, hätte ich nicht die Liebe des
Herzens? Nichts!-

Der Rektor las das Bekenntnis zweimal mit Ernst und Bedacht, wo-
nach er vor dem Gekreuzigten auf den Knieen sich lange mit Gott beriet,
was er zu tun habe. Dann nahm er schmerzbewegt die Feder zur Hand,
machte mitten unter das Schriftstück ein Totenkreuz, dem er solgende Worte
hinzufügte: Gott weiß, wie schwer es mir wird, ihn aufzugeben. Aber
ich kanll und darf ihn nicht halten. Er würde meine Kraft allein für sich
in Anspruch nehmen. Jch habe ihm schon zu viel von meiner Zeit gewidmet,
die nicht einem, sondern hundert und zwanzig Jünglingen gehört. Auch
Brockhus hat sich mehr um ihn gekümmert, als zu verantworten ist. Und
ob er überhaupt der katholischen Kirche zu erhalten sein wird? Er wird
den Weg derer gehen, die nicht auf Offenbarung und Kirche hören, sondern
nur dem eignen Geiste vertrauend sich ihre Welt und ihren Gott selber
schaffen. Gott sührs ihn, daß er ein guter Mensch bleibe!

W Für wen schreiben wir?

Fürs Publikum. Aber dieses Pu-
blikum ist jung und alt, reich und
arm, gläubig und ungläubig zu
gleicher Zeit. Und darum wird viel-
leicht mancher stutzen und verlegen
sein, wenn er gefragt wird: sür
wen schreibst du eigentlich?

Dennoch scheint mir die Verlegen-
heit auf solche Frage immer noch
ein gutes Zeichen und in sehr vielen
Fällen mit der beste Beweis, daß
einer wirklich schreiben kann, daß
er ein Schriftsteller ist. Die größten
Dichter haben bekanntlich init den
kleinsten das gemein, daß sie ge-
meinverständlich sind, mit dem Un-
terschiede, daß das Wort der Großen
auf dem Weltenhintergrunde, und

das der Kleinen, der Auchdichter,
fein leserlich anf Nachbar Müllers
Quartpost steht. Wie bei den Dich-
tern, so wird es wohl auch bei den
Schriftstellern zugehen. Wenden sie
sich an die Zielbewußten rechts oder
links, an die Juristen oder die Arti-
sten, an die Schuster oder die Werk-
zeugfabrikanten ausschließlich, deuken
sie sich nur ihre Partei, Gemeinde,
Klicke zum Auditorium her, so wer-
den sie ein geöltes Spiel haben und
einen billigen Lohn. Aber sie werden
früher oder später an solcher Inzucht
geistig entarten. Dagegen: denken sie
sich die guten Bekannten weg, denken
sie sich ein Publikum herbei, wie es
in solcher Einheit garnicht vorhanden
ist: ein Publikum, anspruchsvoll und

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