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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
DOI Artikel:
Schattmann, Alfred: Ueber das Wesen der Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0397

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(leber äas Mesen ctev Oper

„Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muß sich nur
die Mühe nehmen, es noch einmal zu denken", sagt Goethe. Auch
was ich im folgenden sagen will, erhebt keineswegs den Anspruch, ganz
Neues vorzubringen, sondern nur den: angesichts der jetzt wieder allent-
halben bemerkbaren Ratlosigkeit vor der Frage der Oper die aus
ihrer Geschichte bestimmten Richtlinien dieser Kunstgattung wieder
einmal deutlich hervorzuheben. Ueberall wird „experimentiert"! Die-
jenigen, die mit ofsenem Mute „auf Wagners Spur" wandeln, bleiben
mehr oder weniger im Epigonentum stecken, trotz vieler im einzelnen
erfreulicher Taten; und gerade deswegen, weil sie nur seine Kom-
positionsweise aufgenommen, nicht aber auch die anderen Folge-
rungen bisher zu ziehen verstanden haben. Auf anderer Seite
aber werden Stimmen laut, die osfen „zum Rückzuge" blasen, denn
aus Wagners Bahnen gebe es kein Weiter. Jch meine nun: empfindet
man nur natürlich und urteilt man solgerichtig, so löst sich alles in
eine Reihe von Selbstverständlichkeiten auf; ein Pfadweiser liegt ja
in der Sache selbst: das eigentlichste Wesen der Oper und das, was
Wagner erreicht hat, das, scheint mir, gibt den Schlüssel zum
richtigen Auswege.

Wagner hat uns gelehrt, wie aus einem ursprünglichen
Irrtum allmählich sich das entwickelt hat, was wir heute am besten
schlechthin „Oper" nennen. Mit dieser, nicht mit irgend etwas Voran-
gegangenem haben wir es heute nur noch allein zu tun! Demnach ist
und sei die Oper vor allem ein Drama, eine auf der Bühne für Auge
und Ohr vernehmlich und begreiflich abspielende Handlung, worin
die Vorgänge, Motive, Leidenschaften durch die Musik, die alle Ge-
fühls- und Stimmungswerte des Textes wiederzugeben, ihn zu unter-
malen, auszudenken, zu ergänzen und auch hier und da zu potenzieren
hat, dem gefühlsmäßigen Verständnis erst im letzten Grunde zugäng-
lich und empsindbar gemacht werden.

Aber erscheint es nicht befremdlich, Personen auftreten zu lassen,
die, anstatt zu sprechen, singen? Es gibt wohl keinen Menschen, der,
als er zum ersten Male naiv in ein Opernhaus trat, sich nicht durch
diese Sonderbarkeit verwirrt gefühlt hätte. Ja, sprächen die auf-
tretenden Personen und erklänge die — alles nur dem Gefühl ver-
deutlichende — Musik nur im Orchester, dann würde auch der Neuling
nichts Unwahrscheinliches dabei finden. Da aber diese Personen der
Oper da sangen, so sragte, wer überhaupt nachdenken mochte, nach dem
Warum. Was ist denn das Wesen des Gesangs? Er wird allgemein
als die durch das Gefühl oder aus anderem Grunde gesteigerte Art
'menschlicher Ausdrucksweise erkannt. Das bloße Wort genügt nicht
mehr, um alles, was man hineinlegen will, auszudrücken: da wächst
aus ihm der Gesang hervor. Er verdeutlicht jetzt durch das Gefühl
den letzten Sinn des Auszudrückenden. Dann aber ist er ein Ergebnis
andersartiger Faktoren. Davon werden wir später zu reden haben.
Zunächst dürfen wir einen einfachen Schluß ziehen: ist Gesang eine
gesteigerte Ausdrucksweise, so muß für solche Steigerung ein Grund



t. De;emberheft

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