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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Amerika
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0396

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alten Welt. Die jetzige amerikanische Lebensweise ist wesentlich dadnrch
bedingt, daß das Heer von Bedienungsmenschen fehlt, das die alte
Welt anfbietet. Amerika hat noch immer etwas von der Kolonistenfarm
an sich, wo jeder für sich selbst sorgen muß. Vieles im Lande ist
provisorisch und primitiv, für die Bequemlichkeit des Herrenmenschen ist
so wenig wie möglich gesorgt. Arbeiter, die niedrige Dienste ver-
richten, gibt es nicht oder verschwindend wenig. Das hat den Scharf-
sinn der Menschen in der Richtnng angefpornt, die Aeußerlichkeiten
des Lebens zu vereinfachen. Eine Wirkung dieses Einflusses bemerken
wir in der Einrichtnng des amerikanischen Hauses, in welchem zentrale
Versorgungen mit Wärme, warmem und kaltem Wasser, Kraft und
Licht viel weiter ausgedehnt find als in unserm Hause, und in welchem
in einer sonst nirgends anzutreffenden Vollkommenheit für körper-
liche Bequemlichkeiten und das persönliche Reinlichkeitsbedürfnis ge-
sorgt ist. Auf dem Gebiete der Jndustrie ist die große Bedeutung Ame-
rikas in der Entwicklung von Arbeitsmaschinen direkt auf diefe
Quelle, den Mangel an Menschenmaterial, zurückzuführen. Man
macht alles mrt Maschinen, und man verbessert die Maschinen so,
daß so wenig Menschen wie möglich zu ihrer Bedienung gebraucht
werden. Das drängt mit gebieterischer Notwendigkeit dazu, die
Maschinenformen als Spezialität zu entwickeln. Die Dinge, die
uns umgeben, werden unter der Herrschaft dieses Prinzips ihre
bestimmten Formen annehmen, d. h. solche Formen, die die Maschine
bequem herstellen kann. Angedeutet find diese Formen schon in man-
cherlei Dingen, z. B. in den amerikanischen Bureaumöbeln, den Laden-
einrichtungen, in einer in Amerika bemerkbaren Art billigen Haus-
mobiliars usw. Die gegenseitige Anpassung von Erzeugnis und Werk-
zeug (die Maschine ist ja auch nur ein Werkzeug) ist sicherlich eine
der Triebkräfte der tektonischen Formenentwicklung, und Amerika ist
am meisten berufen, diese Triebkraft, soweit sie sich in der maschinellen
Herstellung von Gerüten und Hausausstattungsgegenständen äußert,
zu betätigen.

Es wird freilich noch gute Weile haben, bis das allgemeine Bild
verändert fein wird. Die genannte Entwicklung geht drüben
gleichsam im Unterstrom vor sich, oben betätigt sich noch die Eitel-
keit der Menschen, die Louis XVI.-Möbel und prunkenden Firlefanz
haben will. Und gerade in Amerika werden folche Kräfte noch lange
ihre Rolle spielen. Die junge amerikanische Kultur bewegt sich noch
wild aus und nieder. An einen rnhigen Zustand, an eine Abklärung
der Lebensverhältnisse ist noch nicht zu denken. Nur aus dem reifen
Zustande eines Volkes heraus kann sich ja der seine Niederschlag einer
örtlichen, spezifisch nationalen Kunst bilden. Lsermann Mutbesius













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