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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
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Muthesius, Hermann: Amerika
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0395

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die allerverschiedenartigsten Dinge nicht täglich, nein stündlich, auf
Schritt und Tritt.

Bei dieser Gesinnung wird man noch keine Vertiefung in der
Kunst, am allerwenigsten in der Wohnungskunst erwarten können.
Die Leute, die das Geld haben, haben ihr Leben lang nichts weiter
getan, als es zu machen. Natürlich ist auch ein Teil des Publikums
da, der ernster, gediegener und gebildeter ist als der Typus des geld-
machenden Amerikaners, aber er wie^gt nicht vor. Es steckt überhaupt
viel Bildungsdrang im Volke, und es wird ungemein viel für Volks-
bildung getan. Auch in der Kunsterziehung werden große Anstren-
gungen gemacht, und namentlich liegen im Volks- und Mittelschul-
Zeichenunterricht eine Fülle von Anregungen in bezug aus das, was
Amerika hier entwickelt hat, für uns verborgen. Die Geschmacksbildung
steht im Vordergrunde des Zeichen- und des in allen Schulen in großem
Umfange geübten Handfertigkeits-Unterrichtes. Beim amerikanischen
weiblichen Geschlecht sieht man bereits die Früchte: die Amerika-
nerin ist heute die geschmackvollst gekleidete Frau der Welt, sie stellt
die Pariserin in den Schatten, die neben ihr als gedrechselte Puppe
erscheint. Es ist durchaus anzunehmen, daß Amerika in absehbarer Zeit
eine künstlerische Kultur haben wird. Die Grundlage dazu wird in der
Erziehung gelegt, der gute Wille, sich künstlerisch zu bilden, ist da.
Man kann sogar annehmen, daß das Land an der Schwelle einer ähn-
lichen starken Kunstbewegung steht, wie wir sie heute in Deutschland
haben.

Jn diesem Augenblicke mußte daher das kunstgewerbliche Auf-
treten Deutschlands auf der Weltausstellung von spannendem Jnter-
esse für Amerika sein, und es ist anzunehmen, daß es sogar von maß-
geblichem Einfluß aus dessen fernere kunstgewerbliche Entwicklung
werde. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird Deutschlands kunst-
gewerbliches Austreten einen kunstgewerblichen Ausschwung in Ame-
rika heraufführen, ähnlich wie die Weltausstellung in Philadelphia
von weitreichendstem erzieherischen Einflusse auf Amerika war. Jeder
solcher Einfluß von einem Lande aus das andere hat aber eine große
Bedeutung nicht nur für das beeinflußte, sondern auch für das be-
einslussende Land. Er hebt dessen Allgemeinansehen in der breitesten
Breite. Und er gewährt ihm dadurch Vorteile, die vielleicht nicht
in Mark und Pfennigen festzustellen sind, aber als Jmponderabilien
dem Nationalvermögen zunächst in aller Stille zugute kommen. Jm
weiteren Ende pflegt sich an das gewonnene Ansehen der Bezug
von Realien zu knüpfen, und so kann man vielleicht hoffen, daß Deutsch-
land mit der Zeit einen Teil desjenigen Exports an Kunstindustrie-
erzeugnissen besserer Art in die Hände bekommt, den jetzt Frankreich
fast als Monopol betreibt. Die Mühe, die sich Deutschland um die
Weltausstellung in St. Louis gegeben hat, ist sicher nicht als vergeb-
lich anzusehen.

Künstlerisch bietet uns also das Wunderland Amerika vorläusig
noch nichts von Belang. Die amerikanische Kunst (das Wort
im alten Sinne der tektonischen Künste gebraucht) muß erst noch
geboren werden. Daß sie kommen wird, kann keinem Zweifel unter-
liegen. Vielleicht wird sie ein ganz andres Gesicht haben als die der

p Dezemberheft tAOH SS5
 
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