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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
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Gregori, Ferdinand: Schauspieler-Nöte
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0028

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8ckauspieler-stlöte

Eine meiner liebenswürdigsten Kolleginnen, die zugleich eine große
Künstlerin ist nnd in ihrer Jugend die schöne Kaiserstadt an der Donau
jubeln und wirbeln machte, mußte einmal in meiner Gegenwart ein
recht plumpes Kompliment ob ihrer wundervollen blauen Augen und
ihrer noch entzückenderen Hünde über sich ergehen lassen. Jch lächelte
über die Ungeschicklichkeit des Schwerenöters; sie aber, die glaubte,
mein Lücheln gälte ihr, verteidigte sich wehmütig: „Sie mögen es
für lüppisch halten, aber ich branche das; wenn ich drei Tage lang
von keinem Menschen höre, daß ich noch immer etwas Hübsches an
mir habe, bin ich unglücklich." Jch verstand sie: der schwere beängsti-
gende Druck, den unser Beruf uns auferlegt, sprach aus ihrem Satze.
Soweit wir Schauspieler sind, hängen wir ab; einmal vom Dichter,
der uns gewissermaßen in die Welt setzt, zum andern vom Publikum,
das uns gelten läßt und — uns bezahlt. Wir sind gezwungen nns
nach anderen zu richten, gezwungen anderen zu gefallen, gezwungen
eitel zu sein. Und wer seinen äußeren Menschen allzu sorgsam sür
das Auge der Menge prüpariert, der verliert leicht seinen inneren.
Liebhaber und Liebhaberinnen werden von den Zuschauern, werden
besonders von den Stammgästen des Theaters erst nach Augen, Nase,
Mund nnd Ohren, dann nach ihrer Garderobe und an dritter Stelle
nach ihrem Talente beurteilt. Und welcher Theaterleiter mag und
kann dagegen ankämpsen? So bezahlt er eben auch mit drei Vierteln
der Gage den Körper, mit einem Viertel die Seele; und es ist nicht
verwunderlich, daß der „Jntrigant" und der „bürgerliche Vater", die
weniger aus schöne Ebenmäßigkeit und feine Kittel zu sehen brauchen,
nur nach ihrem Talente abgeschätzt und also schlechter gestellt werden.

Keine andre Kunstübung ist in dieser drangvollen Lage, weil
nirgends sonst die äußere Erscheinung des Künstlers als notwendiger
Teil des Kunstwerks auftritt. Der Schauspieler vertändelt deshalb
mit Nichtigkeiten oder Nebensachen viel kostbare Zeit und viel Geld.
An eine harmonische Ausbildung aller seiner Fähigkeiten kann er
kaum denken, kaum denken an eine ruhige herzliche Spiegelung der
großen und kleinen Welt, die ihn umgibt. Und die großen Dichter
und großen Gedanken, die er auswendig lernt, täuschen ihn ost über
die eigene Leere. Der Mangel an Kulturgütern zeigt sich deutlich
in den Unterhaltungen der Schauspieler unter sich und mit anderen.
Die drehen sich entweder fleißig um Essen, Trinken und Kleiden,
oder um die Erfolge. Gilt es ein Urteil — und handle es sich um
die entlegensten Dinge —, so sind die Schauspieler schnell bei der
Hand. Sie schafsen für den Tag und urteilen für den Tag: im Ge-
schwindschritt. Sie werden bon der seichten Tageskritik leicht einmal
an Shakesperes Seite hinausgelobt, wenn sie auch nur die Worte
des Großen wiedertönen; sie verlangen dann auch von derselben Kritik,
schöpserisch und erschöpfend genannt zu werden, wenn sie nur mit Zittern
undZagen übers Steckenbleiben wegvoltigiert sind—an Theatern, die nur
wenige Proben abhalten können, habe ich diese Anmaßung ost beobachtet.
Wie sie die Rollen noch immer heimlich aus die Fächer des Liebhabers,
Komikers, Jntriganten und Vaters verteilen, als ob die Dichter nur

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