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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 12 (2. Märzheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0899

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k

W Unmittelbarkeit

Es ist ja wohl ohne weiteres
klar: eine Unmittelbarkeit in dem
Sinne gibt es nicht, daß uns der
Künstler die Dinge, wie sie sind,
vor Augen stellen könnte; er gibt
sie, wie sie ihm erscheinen. Ein
Unterschied liegt dabei lediglich in
der verschiedenen Bewußtseins-
neignng des Künstlers, das heißt
darin, ob er innerhalb seiner
allemal subjektiven Darstellung mehr
die Erscheinung des Gegenstandes
oder sein Empfinden über den Ge-
genstand verfolgen wird. Hier trennt
sich eben, je nachdem, ob er sein
Gesühl in der Sache „aufgegangen"
wiedergibt, oder ob er es darin
aufsucht, der naive Künstler vom
bewußten, der Realist vom Pathe-
tiker, der unmittelbare Dichter vom
Empfinder seines Empfindens, vom
sentimentalen. Und doch sind es
nicht nur Jünglinge, die Ursprüng-
lichkeit und Kraft viel mehr auf dem
Gebiete des sentimentalen Pathos
als auf dem des unmittelbaren Ge-
staltens suchen, die im „dionysischen"

I

Wesen, im Bewußtseinsrausche des
Empfindens, den tiefsten Ausbruch
des schöpserischen Genies bewundern,
die im Weihrauch die Urkraft des
göttlichen Feuers verehren.

Damit soll nichts gegen den Weih-
rauch an sich gesagt sein: gewiß
vermag auch er die Sinne und
die Seelen eigentümliche Schönheit
schmecken zu lassen. Aber die leuch-
tende Unmittelbarkeit des Lebens
trübt er mit seinem feierlichen
Selbstbewußtseinshauche doch, wo er
sich findet, und scheu entzieht sich
dem verengenden „Be—-greifen" des
Pathetikers mit der tiefsten Un-
schuld die still in allen Dingen wir-
kende Unendlichkeit des Seins.

Das ist es auch — um von Mei-
nungen auf Persönlichkeiten zu kom-
men — dieser, wenn auch ganz leise
Weihrauch-Bewußtseinsduft ist es, der
selbst bei einem so bedeutenden Dar-
steller wie Konrad Ferdinand Meyer,
in den Novellen vornehmlich, aber
auch bis in seine wundervollen Ge-
dichte noch hinein, ein Allerletztes an
Ursprünglichkeit vermissen laßt, wie

Aber die zum Iubeltag da kamen,

Das waren doch sehr andre Namen,

Auch „8LN8 peur et reprocbe^, ohne Furcht und Tadel,
Aber fast schon von prähistorischem Adel:

Die auf „berg" und auf „heim" sind gar nicht zu faffen,
5ie stürmen ein in ganzen Maffen,

Meyers kommen in Bataillonen,

Auch pollacks, und die noch östlicher wohnen;

Abram, Isack, Israel,

Alle j)atriarchen sind zur Stell',

Stellen mich freundlich an ihre 5pitze,
lvas sollen mir da noch die Itzenxlitze l
Iedem bin ich was gewesen,

Alle haben sie mich gelesen,

Alle kannten mich lange schon,

Und das ist die bsauxtsache. . . „Aommen Sie, Lohn."

Theodor Fontane

836

Runstwart XVIII, s2
 
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