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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0447

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K Simplizissimussisches

„An die Sittlichkeitsprediger in
Köln am Rhein" hat „Peter Schle-
mihl" im „Simplizissimus" ein Poem
gerichtet, das also anhebt: „Warum
schimpfen Sie, Herr Lizentiate, Ueber
die Unmoral in der Kemenate? War-
um erheben Sie ein solches Geheule,
Sie gnadentriefende Schöpsenkeule?"
Fort singt es in gleichgestimmten
Akkorden, und das Finale tönt fol-
gendermaßen: „Sie reden von einem
schmutzigen Laster, Sie jammerseliges
Sündenpslaster! Sie haben den
Schmutz wohl häufig gefunden Jn
Jhren sündlichen Fleischesstnnden Bei
Jhrem christlichen Eheweibchen, Jn
Frau Pastorens Flanellenleibchen?"

Kein Mensch konnte von „Schle-
mihl" und denen um ihn verlangen,
daß ihnen der Kölnische Kongreß
kein Greuel sei, es war ganz in
der Ordnung, daß sie gegen ihn
anftraten so kräftig sie's nur konnten.
Aber das war ja gar nicht kräftig,
es war bloß ungeschlacht und, mit
Verlaub zu sagen, es war etwas
sehr, es war genau ebenso „unintel-
ligent", wie das Schelten gewisser
Simplizissimns-Gegner auf diese Leute
als auf eine Rotte von Verkommenen.
Sollten wir nicht auch in der Satire
dahin streben, daß wir die Meinun-

gen des Gegners verstehen, ehe
wir sie verspotten? Einfach, damit
wir sicher sind, auch was Festes in
der Hand zn haben, wenn wir prü-
geln, nicht bloß einen leeren Rock!
Da es bei allem Menschlichen men-
schelt, ginge uns der Stoff dabei
noch lange nicht aus, die Satire
aber würde anch auf gescheite Köpfe
wirksamer. Auch die Sittlichkeits-
fürkämpfer hätten zu solcher Satire
ja Stoff gegeben. Was läßt sich
leichter komisch übertreiben als die
Gegnerschaft gegen alles Nackte?
Was lustiger verspotten, als die un-
aufhörliche Sorge, die eigue Tugend
werde von mangelhaft Bekleidetem
gefährdet? Statt dessen immer wie-
der der Vorwurf der Heuchelei, der
doch schon so abgedroschen ist, daß
er nicht dem kleinsten Küken mehr
Korn genug läßt! Und bei dem
„Simplizissimus", dem so geistreiche
Leute angehören, als Sprachform ein-
fach ein Schimpfen! Wer schimpft,
der Gründe hat? Sonderbar, daß
man gar nicht merkte, wie man
dem gewiß nicht unanfechtbaren Kon-
gresse durch Ausnahme dieser Lei-
stung das Kompliment machte: wir
wissen eigentlich nichts Sachliches
gegen euch zu sagen. A

Ansers Vttäer unä j^slen

Von unsern Bildern zeigt das vorgeheftete farbige eiuen mond-
beschienenen Kleinstadtplatz von Fritz Beckert. Zu sagen ist dabei nicht
viel, denn technische Neuerungen oder sonstwie Erschwerungen des Verständ-
nisses liegen nicht vor. Die eigentümliche Veränderung der Lokalfarben
durch den Mondschein ist auch etwas, das gesehen und nicht besprochen
werden will. Bleibt jene Wirkung, die wir als die „poetische" zu benennen
gewohnt sind, obgleich sie sich in allen Künsten findet. Das Jdyllische
der Kleinstadt, „wsnn die Brunnen leise rauscheu in der schweigenden Som-
mernacht"? Nein, doch oder wenigstens noch etwas anderes! Hast du, Leser,
noch nie die seltsame Erscheinung in dir erlebt, daß die Dinge, wenn sie
der Mond aus dem tiefen Schweigen der Nacht heraufhob an sein Geister-
licht, scheinbar aus sich heraus geheimnisvoll zu klingen begannen? Wer's
gespürt hat, vergißt es nicht so leicht. Und mir scheint, aus diesem Bilde
spürt man einen Nachklang davon.

Hier liegt wohl auch eine der Erfahrungen, die, im Grunde wahr-
scheinlich rein physiologischer Natur, den Menschen angeregt haben, die Nacht
noch mehr äls den Tag mit Geistern zu erfüllen. Je mehr die Seele sich
erregte, je mehr sprach bei dem Schweigen draußen das kreisende Blut im

j. Dezemberheft

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