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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Unsittliche Literatur: einige Gedanken zu dem Kongresse in Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0079

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Linlge Gedanken zu dem Rongresse in Röln

Wenige Tage noch, und in Köln tritt der „internationale Kongreß
gegen die unsittliche Literatur" zusarnmen, — nehmen die Leser dieses
Kunstwartheft in die Hand, so werden die Tageszeitungen bereits von
den Verhandlungen vom Rhein her berichtet haben. Was wirö man
dann wissen? Jch blicke dem Tage nicht ohne Sorgen entgegen, denn
meines Erachtens war es ein schwerer Fehler, alle Männer sozial-
demokratischer Gesinnung von vornherein von ihm auszuschließen.
Man hat dadurch seine Zusammenarbeit mit einem großen Teile unseres
Volkes verhindert und seinen Einfluß aus diesen Volksteil versperrt.
Nur die Erfahrungen von Männern aller Parteien hätten so gründ-
lich über diese Dinge aufgeklärt, wie es möglich war, und nur die
einstimmigen Beschlüsse von Angehörigen aller Parteien hätten die
höchstmögliche Autorität für das ganze Volk erreicht. Jch persönlich
bin davon überzeugt, daß solch einstimmige Beschlüsse hätten erzielt
werden können, wenngleich Vorurteile in diesen Fragen auf der
Linken, wie aus der Rechten zu bekämpfen sind.

Vielleicht bedeutete das Beschränken des Stoffes auf unsittliche
Literatur gleichfalls einen Fehler, wenn auch sicherlich keinen so
bedenklichen. Nimmt man den Begriff „Literatur" nicht unnötig eng,
so fällt ja auch das unsittliche Bild wenigstens noch großenteils
in seine Grenzen, denn großenteils ist es Jllustration. Aber bei den
Ansichts- und Glückwunschpostkarten und den „Künstlerstudien" oder viel-
mehr den Dirnenphotographieen, die sich so nennen, wird die Sache
schon sraglich; sie gehen meist nicht einmal durch den organisierten
Buchhandel. Und was wichtiger: es ist ein Geist, es ist eine Zeit-
erscheinung, es ist eine Gefahr, die sich in Bild oder in Wort be-
tätigt. Beschränken wir uns in folgendem, mit dem Kongreß, auf
„Literatur", so kann das von Gezwungenheit nicht frei sein.

Um nun richtig zu urteilen, werüen wir vor allem die Fehler-
quelle schließen müssen, die am leichtesten fließt. Mir erscheint als
solche das Folgern aus Beobachtungen allein im eigenen Kreise. Was
zwischen uns „Gebildeten" am bedenklichsten wirkt, ist noch nicht ohne
weiteres die größte Gefahr für das ganze Volk. Die größte Gefahr
auf diesem Gebiete für das ganze Volk haben wir Gebildeten Jahr-
zehnt aus Jahrzehnt kaum angesehen und wenn wir's taten, nur
wie einen Spaßgegenstand zum Lachen beachtet, weil sie für uns
keine Gefahr mehr war. Jch meine den Schundroman des Kolportage-
buchhandels. Unbelästigt, ungestört hat er Jahrzehnt auf Jahrzehnt

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