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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 10 (2. Februarheft 1905)
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Enking, Ottomar: Zur Kultur unsrer patriotischen Feste: auch ein Notruf
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Wolfrum, Philipp: Ueber Bearbeitung Bachischer Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0739

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schlagen oder nach den ersten Zetlen beiseite legen, der minder Gebildete
liest sie am Ende und wird dadurch in seiner falschen und seichten Auf-
fassung vom Wesen der Liebe zn Fürst und Vaterland bestärkt.

Die Presse entwürdigt sich nnd die patriotischen Feste sogar noch
mehr. Ganz vernünftige Blätter bringen oft zu Kaisers Geburtstag
oder bei anderen Gelegenheiten Gedichte von unglaublichem Dilettan-
tismus. Jn dem „Kaisergedichte" eines großen, ernsten und sonst gut
redigierten Blattes hieß es z. B. diesmal:

Großen Sinnes herrscht er. Mit Adlerblicken
Sieht er jedem, der sich ihm naht, ins Gssicht —

Sieh, das sind die Augen des großen Ahnherrn,

Friedrichs des Zweiten!

Selten sindet Größe Verständnis. Wahrlich,

Aus dem Staube schuf uns die Gottheit. Messen
Will man an der eigenen Kleinheit eines
Kaisers Gedanken!

Warum wird dergleichen gedruckt? Oft, weil man nicht wagt, solche
Reimereien zurückzuweisen, denn der Versasser ist vielleicht eine einfluß-
reiche Persönlichkeit, wer weiß, er würde vielleicht in seiner Gekränkt-
heit die Zeitung abbestellen und sie als „nicht gesinnungstüchtig", als
„rot" verschreien.

So ist denn auch hier ein „Gebrauch, wovon der Bruch mehr
ehrt als die Befolgung". Sei es nun der j8. Januar, sei es der Ge-
burtstag des Fürsten, seien es Bismarckfeiern oder Sedanfeste, die wir
begehen: überall sollten Redner und Redaktionen darauf bedacht sein,
einen frischen Trunk vorzusetzen. Zwar ist es in jeder feinen Gesell-
schaft die Regel, daß der geistig Schwächste die Tonart bestimmt, das
berechtigt aber doch wohl niemand, der an patriotischen Festen etwas
zu leisten hat, sich mit dem Wohlgefallen des Philisters zu begnügen.
Dazu müssen uns die politischen Errungenschaften des vorigen Jahr-
hunderts, die Männer, denen wir sie verdanken, und die Träger der
staatlichen Autorität zu hoch stehen. Gttomar Lnking

(leber kearbeilung Vackiscker Merke

Wir leben gegenwärtig in der Zeit einer Bach-Renaissance, die
in der Art, wie sie die verschiedensten Kreise ergreift, für den in die
Kunst des Meisters einigermaßen Eingeweihten wohl viel Erfreuliches,
aber nicht selten anch etwas Unheimliches an sich hat. „Mehr Bach",
„Bach dem ganzen Volke", „Bach dem evangelischen Gottesdienste" tönt
es da, ich möchte fast sagen auf den öffentlichen Plätzen. Wenn nun
auch bekanntlich zumeist die Kunstfragen nicht dort gelöst zn werden
pflegen, so sind solche Zeichen der Zeit immerhin zu beachten.

Lassen wir diesmal jene, die Bach als eine Art Krücke sür ihre
Sonderbestrebungen ansehen und zu benützen suchen, ungeschoren. Hal-
ten wir uns an die, welche es bitter ernst nehmen mit Bach. Hierher
gehören neben den musikalisch Gebildeten die Musikgelehrten, beson-



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