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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 10 (2. Februarheft 1905)
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Enking, Ottomar: Zur Kultur unsrer patriotischen Feste: auch ein Notruf
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0738

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Themen behandelten. Denn die Themen müßten wohl in organischem
und sinngemäßem Zusammenhange mit dem Ereignis des Tages stehen,
aber sie brauchten nicht ins Uferlose hinauszuschwimmen, um unter
allen Umständen „patriotisch" zu erscheinen und — Zeit auszufüllen.
Jn einem kurzen kräftigen Hoch mit zehn einleitenden Sätzen kann
dabei immer noch den vaterländischen und monarchentreuen Gefühlen
genügt werden.

Jeglicher Schwulst ist Lüge, ernste Betrachtung aber birgt immer
zum mindesten einen Kern von Wahrheit in sich, und die echte Be-
geisterung leuchtet aus einfachen Sätzen am hellsten heraus. Man er-
innere sich, wie die Burenführer sprachen, als sie in Deutschland „betteln"
reisten, diese Männer, welche die Echtheit ihrer Baterlandsliebe wahrhaf-
tig bewiesen hatten, um wie viel einfacher sprachen sie, als unsre Fest-
redner! Der Gegenstand ist wichtiger als mancher denkt. Man frage nur
nach einem patriotischen Feste die urteilsfähigen und vom Monarchismus
überzeugten Teilnehmer, was sie davon geistig mit nach Hause genom-
men haben, man wird in den meisten Fällen ein Achselzucken oder ein skep-
tisches Lächeln als Antwort erhalten. Mir erscheint das dann nicht als
ein Zeichen des schlechten, sondern des unangenehm berührten oder zum
Spotte gereizten guten Patriotismus. Freilich, es mag auch Gemüter
geben, in denen unter dem schallenden Wuste die Liebe zu Kaiser und
Reich geradezu erkaltet. Den politischen Gegnern aber bieten die Nich-
tigkeiten eine willkommene Handhabe zum Angriff, denu wenn die
Vaterlandsliebe tatsächlich nicht tiefer in unseren Herzen säße und nicht
mehr Jnhalt hätte, als in den Durchschnittsreden, so wäre sie reif da-
zu, weggeblasen zu werden. Daher haben wir die Pflicht, an einer
Berinnerlichung der patriotischen Feste zu arbeiten. Wir dürfen
uns nicht damit zufrieden geben, aus der einen Seite das herkömmliche
Jammerlied über den „mehr und mehr um sich greifenden Materialis-
mus" anzustimmen und auf der anderen in des „auferstandenen Deut-
schen Reiches Herrlichkeit" mit Worten zu schwelgen. Die Deutschen
sind heute nicht materieller als früher, und viel gehört noch dazu, ehe
unser Reich „herrlich" wird. Weder sich selbst, noch seine Zuhörer sollte
der Redner berauschen, sondern er sollte seine Vollkraft daran setzen,
die Worte bei allem warmen Gefühl klar und historisch gerecht abzu-
wägen. Dann wird es auch bei einer patriotischen Rede möglich sein,
gehaltvoll zu sprechen, dann kann und wird auch sie bei den Hörern
mehr und besseres erwecken als Dunst und — Durst.

Fast alles, was wir hier von dem gesprochenen Worte gesagt
haben, bezieht sich auch auf das geschriebene. Selbst Zeitungen, die
sich sonst einen guten Blick bewahren und nach Mannesart austreten,
begehen an vaterländischen Gedenk- und Festtagen Phrasenorgieen, um
nicht in den Verdacht zu geraten, minder patriotisch zu sein als die
Konkurrenz. Nur hin und wieder sindet man einen Leitartikel, der von
Ueberzeugungstreue und Nachdenken zeugt, sür gewöhnlich ist zu er-
kennen, daß die Schreiber mit Ergebung oder auch mit einem Auguren-
lächeln die althergebrachten Redensarten zusammengestoppelt haben.
Was auf das Papier kommt, scheint ihnen an solchen Tagen schließlich
einerlei, wenn es nur von Ergebenheitskriecherei und Selbstverherrlich-
ung trieft. Der Gebildetere wird diese Aufsätze von vornherein über-



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