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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 10 (2. Februarheft 1905)
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Enking, Ottomar: Zur Kultur unsrer patriotischen Feste: auch ein Notruf
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0737

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denn vorn deutschen Kaiser nicht auch einmal etwas Neues zu sagen?
Sind die Kreise und Vereine, die sich vaterlandsliebend und monarchisch
nennen, politisch so versumpft, daß sie über den Schauerspruch vom
„Erbfeind" und über eine noch viel häßlichere Byzantinerei nicht mehr
hinaus können? Man fürchtet es manchmal, denn was in den bekannten
„sestlich geschmückten" Sälen vorgebracht wird, ist allermeist nur darauf
berechnet, in dem Zuhörer jene aus Eitelkeit und Weichseligkeit gemischte
Stimmung zu erzeugen, in der man die deutsche Nation für einzig
lebenswürdig und sich selbst für eine Blüte dieser Nation hält. Auch
gegen das zweite Gebot wird viel gesündigt. Wir sollen doch unsere
Vernunft gebrauchen, wozu wir sie bekömmen haben, — dürfen wir
dann immer und ewig wieder damit kommen, daß die Franzosen ein
Volk von Räubern und Dieben gewesen sind, das von Gott verlassen
oder höchstens dazu gebraucht worden war, uns, den Auserwählten,
die Kaiserkrone zu verschaffen? Wir dürfen uns ferner, wo anders
wir den Kaiser achten, nicht damit begnügen, ihn zu seinem Geburtstag
ohne jede Kritik in des Wortes eigenster Bedeutung anzuhimmeln und
ihm beinahe göttliche Eigenschaften beizulegen. Jeden, der auf sein
Deutschtum etwas hält und die Monarchie sür eine unserm Volke natür-
liche und nützliche Staatseinrichtung ansieht, muß das Gefühl entweder
der Langeweile oder des Widerwillens erfassen, wenn sich ein Festredner
mit möglichst durchdringender Stimme und heftigen Armschwenküngen
abmüht, seiner Ansprache die Zeitungszensur „von Herzen kommend
und zu Herzen gehend" zu verschaffen. Ja, ein bitteres Bedauern über-
kommt einen, daß Kaiser und Reich, die einst wirkliche, hohe Jdeale
waren, jetzt skrupellos auf den niedrigen Standpunkt herabgezogen
werden, den die unfeinen und geschmacklosen Reden mit ihren Lob-
huüeleien einnehmen.

Gewiß, es gibt Ausnahmen von dieser Regel, aber ihrer sind
wenige. Es ist jetzt tatsächlich eine Seltenheit, daß man an patriotischen
Festtagen nicht schon vorher aus trüben Erfahrungen weiß, was der
Redner — leider! — sagen wird. „Aus der völkergebärenden Wiege
Asiens drohen ungezählte Millionen von Volksstämmen" — dieses im
Kunstwart einmal aus einer wirklich gehaltenen Rede zitierte Wort
herrscht seinem Geiste nach auch heute noch in den patriotischen Fest-
Versammlungen schier überall. Das Publikum ist an die dröhnenden
Ergüsse gewöhnt, und da es in der Mehrheit kein Nachdenken liebt, so
ist es froh, wenn es, mit neuen Gedanken oder Gefühlen nicht über-
rascht und behelligt, weiß, wo es Bravo! oder Pfui! zu rufen hat.

Wir meinen trotzdem, die Redner, die doch meist den sogenannten
gebildeten Ständen angehören, sollten sich nachgerade zu gut sein,
„den Gründlingen im Parterre in die Ohren zu donnern", und eine
volkserzieherische, eine nationale Aufgabe darin sehen, gegen diese
Unkultur anzukämpfen. Zur würdigen Betrachtung eines patriotischen
Festes gehört freilich nicht nur Vaterlandsliebe und geschichtliches Wissen,
sondern vor allem einmal auch eine große Weltanschauung. So arm-
selig ist unser politisches Leben in Vergangenheit und Gegenwart gewiß
nicht, daß sich nicht auch etwas wirklich Tüchtiges darüber so sagen
ließe, daß es überzeugend erwärmt. Viel besser, als daß „allgemeine"
Reden gehalten werden, wär' es, wenn die Sprecher besondere und klare

680 Runstwart XVIII, s0
 
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