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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [5]: Bildende und angewandte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0241

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Künstlerische Genutzfähigkeit oder ästhetische Bildung einerseits, kunst-
geschichtliches Wissen anderseits sind bekanntlich grundverschiedene Dinge. Es
kann einer ein tüchtiger Kunsthistoriker sein, ohne von dem inneren Gehalt
bedeutender Kunstwerke viel berührt zu rverden, und es kann jemand ohne
kunstgeschichtliche Kenntnisse künstlerisch auf das feinste sühlen. Denn das
Kunstgefühl, das „Lesenkönnen der Kunstsprache" stärkt man nicht durch das
Lesen von Kunstgeschichtcn, sondern nur durch Uebung des Auges und wo-
möglich auch der Hand vor der Natur und an den Kunstwerken selbst. Je
mehr man die Augen übt, Farben zu sehen, Formen zu empfinden, Linien
nachzufühlen, um so mehr macht man seinen seelischen Kräften die Ausdrucks-
mittel anderer seelischer Kräfte zugänglich, soweit sie von Auge zu Auge reden.
So übt man sich darin, das nur äutzerlich Hingeredete oder gar „Gelogene"
eines Kunstwerks leichter und leichter und schließlich unmittelbar herauszufühlen,
ebenso aber auch darin, der künstlerischen Persönlichkeit immer leichter in ihre
Tiefen zu folgen. Wer, wie von jeher wir vom Kunstwart, Kunst mit Goethe
als „Sprache des Unaussprechlichen" betrachtet, die einen Wert nicht um ihrer
selbst willen hat, sondern nur um jenes Unaussprechlichen willen, der weiß:
„Kunstgeschichten" usw. können hier so gut wie gar nichts helfen. Beweis
hierfür ist die ästhetische Unkultur unserer Zeit, die auf dem Gebiete des
Bauens geradezu erschreckend zutage tritt — trotz der Fülle von Kunstgeschichten,
die erscheinen.

Runsterziehung. Die Wiedererweckung ästhetischen Empfindens ist also
eine brennende Tagessrage geworden, und so sind jetzt auf allen Gebieten, die
zur künstlerischen Kultur in Beziehung stehen, zahlreiche Kräfte tätig, um sie
zu beantworten. Der „intensive Kunstbeirieb" an sich tut's natürlich auch nicht.
Die wichtigsten dieser Gebiete sind für die bildenden und angewandten Künste:
Naturbetrachtung, Heimatschutz, Denkmalpslege, Zeichenunterricht.

Die Erziehung zum Sehen besorgt in unserer Zivilisation vor allem der
Zeichenunterricht. Dem s. Z. resormatorisch wirkenden Flinz erschen „Lehr-
buche" sind längst wieder neuere Reformatoren gefolgt. So Georg Hirth mit
„Jdeen über Zeichenunterricht und künstlertsche Berussbildung", wiederabgedruckt
in der Sammlung „Wege zur Kunst". Es solgte Konrad Langes „Künstle-
rische Erziehung der deutschen Jugend", zum ersten Male die ganze Frage be-
handelnd. Einen anregenden Vortrag über „Sehen und Zeichnen" veröffent-
lichte der Geologe Heim. Hierher gehören weiter die beiden wichtigen
theoretischen Schristen von Carl Götze in Hamburg: „Zur Reform des Zeichen-
unterrrchts" und „Das Kind als Künstler", ferner Fritz Kuhlmanns (Altona)
Schrift: „Die Praxis des Sktzzierens im Schulzeichenunterricht". Götze,
Kuhlmann u. a. verfatzten gemeinsam die Schrift: „Der Zeichenunterricht in
der Gegenwart". Weiter sind zu nennen: I. Liberty Tadds „Neue Wege
zur künstlerischen Erziehung der Jugend" (Zeichnen, Handfertigkeit, Natur-
studium, Kunst) und Prangs „Lehrgang für die künstlerische Erziehung, unter
besonderer Berücksichtigung des Naturzeichnens", im Austrage des Vereins
deutscher Zeichenlehrer bearbeitet und herausgegeben von Karl Elßner und
Richard Bürkner. An Mutter und Kind roendet sich E. von Busse in
ihrem hübschen „Formenschatz". Der Zeichen- und Kunstgewerbelehrer wird
auch die Bücher von Walter Crane „Linie und Fsrm" und „Die Grund-
lagen der Zeichnung" mit Nzitzen studieren, besondcrs wenn er's zugleich mit
Kritik tut. ,

Für den Lseimatschutz kommen an dieser Stelle vor allem Paul
Schultze-Naumburgs „Kulturarbeiten" in Betracht, eines dcr ältesten
„Kunstwart-Unternehmen", von dem nun drei Bände vorliegen: „Hausbau",
„Gartenbau", „Dörfer und Kolonien". Die Bücher haben eine so allgemeine
Würdigung und so weiten Einfluß gewonnen, daß es hier genügen mag,
sie zu nennen. Aehnliche Ziele verfolgt ein neues und groß angelegtes Bilder-
werk über „Architektur von 1750—1850", mit dem die Herausgeber Lambert
und Stahl die Anknüpfung an die gute Ueberlieferung erleichtern wollen.
Weiteres wichtiges Material füc diese und vsrwandte Fragen bieten: „Die
Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung", eine
Denkschrift von H. Conwentz für das preußische Unterrichtsministerium, die

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