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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Nur eine Fachfrage oder mehr?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0146

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sms -facdkrage oäer medr?

Auch Las ist schön an unsrer Bewegung, daß sie Fragen, die
früher nur als „Fachsragen" galten, in ihrer allgemeinen Bedeutung
erkennen hilft: sie hat schon manch richtigem Gedanken die Teilnahme
dcr Allgemeinheit und damit den Weg vom Plane zur Tat eröfsnet,
manchem Gedanken, der sonst, festgepflockt an grüne Tische, gemäch-
lich eintrocknen würde. Für eine Frage solcher Art werben wir um
die Teilnahme unsrer Leser auch heut. Was kümmert ihre Mehrheit
sich bis jetzt um — Baugewerkschulen? „Eine Fachfrage, mögen die
Fachleute zusehn!" Wenn aber unsre Städte und Dörser, wenn unsre
Landschaft, unsre Heimat immer mehr verschandelt wird, nicht wahr,
das bekümmert uns alle? Wenn unsre üsthetische Kultur aus dem
Dache sitzt, wie der Greis in der Leipziger Wassersnot, immer gewürtig,
daß die Balken knacken, weil das Fundament wackelt, nicht wahr,
das interessiert auch uns? Und wenn nun daran das Banschulwesen
einen großen, einen löwenmäßigen Anteil hätte?

„Jmmer wieder Bausragen!" Ja, immer wieder Baufragen —
wenn wir uns nicht bloß unterhalten, wenn wir mitsammen vorwärts
wollen. Bei dem, was wir brauchen, fängt die ästhetische Kultur an,
und vor der Wohnung noch ist ja der Bau. Wir müssen noch lange
von Bausragen reden, die Sache will's. Man bedenk' es doch: ein
Volk, das von jedem Morgen bis zum nächsten, ein Volk, das Jahr
hin Jahr her in verschrobenen und geschminkten Behausungen wohnt
— muß ihm nicht durch solche Dauerkur das natürliche Verlangen
nach Einheit von Ausüruck und Sein überhaupt aberzogen werden?
Was kann das Ausdecken alles kleinern Geschwindels sruchten, wenn
der große Danerschwindel kommandierender Pascha bleibt? Langsam,
leise, aber in des Wortes eigentlichstem Sinne mit tödlicher Sicher-
heit ersticken die tausend Eindrücke des Alltags die Gesundheit des
Gefühls. Hat unser Bolk erst ein Jahrhundert lang in all der Ver-
üußerlichung, in all dem draußen Großtun und drinnen Verklein-
lichen, in all dem Protzen, Vertuschen, Jmitieren und Mogeln unsrer
hentigen Bauerei gehaust — wer glaubt, daß dann die Folgen von
alledem aus das Bauwesen sich beschränkten? Jn ihrem letzten
Grunde hat die Menschenseele keine doppelte Buchsührung. Wem Dich-
tnng, Tonkunst, Malerei, wem irgend ein Kunstgcbiet nüher als dieses
am Herzen liegt, auch seine Sache wird deshalb, wo wir vom Bauen
reden, geführt. Und darüber hinaus: die eines jeden, dem die sitt-
liche Krast seines Volkes teuer ist. Tritt doch gerade hier die Wechsel-

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