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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Nur eine Fachfrage oder mehr?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0147

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wirkung von ästhetischer und sittlicher Kultur klar wie kaurn sonstwo
zutage.

Es ist nicht so kurz zu sagen, wie das Verwüsten unsrer Heimat
durchs Schwindelbauen über uns gekommen ist, denn da haben viele
Ursachen zusammengewirkt. Die stärksten waren gewiß die sozialen,
und selbst die verkehrten Bestimmungen durch Gesetz und Verwaltung
waren großenteils nur ihr Ausdruck. Bleiben wir heute bei den
ästhetischen. Das Aufkommen neuer Techniken bot neue Mvglichkeiten
dar, die verblüssten; so ging man von der Ueberlieferung ab, ehe
man die neuen Techniken ästhetisch zu meistern wußte, das heißt:
man setzte sich zwischen zwei Stühle. Ferner, es war ein seltsamer
Begrisf von Kunst aufgekommen, als sei Kunst dem Wesen nach an-
deres als Leben, etwas, das einen eigentlich nur Festtags was an-
ging. So kümmerten sich die Herren Kunstfreunde um die „gewöhn-
lichen" Bauten kaum, Kleinbürger- oder Bauernhaus überließ man
ruhigen Gewissens den „Praktikern", die durch neue Bauordnungen
an vielen Orten den Bruch mit der guten Tradition von Obrigkeits-
wegen geradezu erzwangen. Kümmerte sich aber doch ausnahmsweise
einmal einer ästhetisch um ein schlichtes Gebäude, so kannt' er kein
höheres Jdeal, als es irgend welchem Monumentalwerke anzuähneln.
Das kann nicht verwundern, bedenkt man, daß die ganze bildende
Kunst der Zeit von der Bewunderung der Antike und der italienischen
Renaissance beherrscht war, schier keiner aber suchte die anderswo
als bei ihren Monumentalwerken auf. Wollte man auch bei be-
scheidenen Bauten schön sein, so nagelte man also griechische Säulen-
ordnungen vor die Mietskasernen, imitierte mit deutschen Landhäus-
chen italienische Palazzi und baute als Bedürsnisanstalten in Straßen-
ecken Rundtempel mit gegossenen Säulen, gewalzten Epistylen und
gestanzten Akroterien. Heimlich zwar sträubte sich das gesunde Men-
schengefühl gegen die Verachtung bescheidener Schönheit, und die
Maler malten, die Poeten besangen sie. Aber gebaut ward „das"
nicht mehr, das Leben darin spukte gleichsam, aber verkörperte sich
nicht.

Manches von damals können wir heute kaum noch begreifen.
Ein immerhin tieferes ästhetisches Verstehen ist aller Enden jetzt da.
Aus einer Quelle jedoch fließen die Mißverständnisse jener Ver-
'gangenheit noch immer fortzeugend in die Gegenwart. Jch glaube
nicht, daß auf ästhetischem Gebiet je irgend eine Einrichtung irgend
welcher Zeit so viel Schaden gestiftet hat, wie in ihrer üblichen Form
Lie deutsche Baugewerkschule, die sich in jenen Jahren entwickelte.
Zum Segen des deutschen Heims und der deutschen Heimat gegründet,
ist sie ihnen zum Fluche geworüen. Ja, zum Fluche — es ist
kein Wort dafür zu hart. Unter Fachleuten weiß man das längst,
jetzt sind die Dinge reis genug, um auch unsre Gebildeten, unser Volk,
unsre Parlamente zu beschäftigen.

Was bietet im Durchschnitt der Lehrplan der deutschen Bau-
gewerkschule? Wenige Worte schon zeigen, daß er versehlt ist. Er
bietet wissenschastlichen und technischen Unterricht in den berschiedenen
Fächern, gegen den sich Wesentliches nicht einwenden läßt, der im
allgemeinen sicherlich gut ist. Ausschließlich in diesen Fächern wird



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