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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
DOI Artikel:
Schattmann, Alfred: Ueber das Wesen der Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0398

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vorliegen. Liegt er nicht vor, so wird der Gesang unlogisch, un-
wahr sein.

Trifft das zu, so wird man sehr viele der vorliegenden sogenannten
Opern aus eben diesem Grunde heute als „O pe r n" ablehnen müssen.
Jst doch hier mit der Gewohnheit nichts geholfen. Behalten viele von
ihnen rein-musikalisch und historisch auch ihren hohen Wert für alle
Zeiten, so darf man sich nicht darüber täuschen, daß sie vielfach ein
stilistischer Unsinn oder wenigstens Halbsinn sind, der jedenfalls uicht
weiter nachgebetet werden darf.

Wann liegt nun in Wahrheit der Grund zum Gesange vor?

Da kein Mensch für gewöhnlich singt, sondern nur unter beson-
deren Umständen, so kann, scheint mir, eine alltägliche, sagen wir
„veristische" — nicht „naturalistische" — Handlung keinesfalls kom-
poniert werden. Die durch ihr Wesen über den breiten Alltag sich
ja doch durchaus erhebende „Musik", der nur unter besonderen
Umständen wahrscheinliche Gesang haben vielmehr eine Handlung zur
Voraussetzung, die irgendwie ebenfalls über den Alltag erhoben ist:
Das Gebiet der für Opern verwendbaren Stoffe beschränkt sich so
ganz von selbst: alles Gesteigerte, Erhobene; Jdeal-Pathetisches,
Mystisches, Märchen- oder Sagenhaftes, dann Lyrisches, Jnniges, be-
sonders Warmes, Gefühlvolles, Begeistertes, auch wohl rein-menschlich
Kerallgemeinertes, das alles kann als Opernstoff taugen. Dann aber
können es auch heitere, komische Stoffe, gemütswarme und -tiefe Texte,
wo Gesang und Musik aus Laune, Schalkheit, Gefühl oder Humor,
also aus der ungewöhnlichen Stimmung des Ganzen heraus
wie von selbst geboren zu werden erscheinen.

Aber Texte, die stellenweise s o, stellenweise and ers sind?

Auch ich stehe hier aus dem Standpunkte, daß unter Umständen
eine Oper mit teilweise gesprochenem Dialog durchaus stilrichtig sein
kann. Es kommt aus den besonderen Fall an, ob die gesprochenen
Stellen melodramatisch zu untermalen oder ohne Musik anznwenden
sind. Jm allgemeinen dürfte ersteres bei solchen Stofsen, die an sich
schon in höheren Sphären sich bewegen, die auf erhöhtem Kothurn
einherschreiten, angebracht sein; bei der mitertönenden Musik, die nur
die Gefüylswelt des Hörers besonders anregt und ihn so für das
Drama auf der Bühne im höchsten Sinne empfänglich macht, wird die
Bühnenhandlung wahrscheinlicher, überzeugender. Bei komischen,
heiteren Stoffen kann es andererseits unter Umständen sogar als ganz
Vatürlich erscheinen, einen reinen Dialog mit komponierten Stellen
abwechseln zu lassen. So kommt es auch, daß Mozarts heitere
Opern — obwohl sie nicht in bewußter Absicht so geschaffen worden
sind! — noch heute vielfach auch bei gesprochenem Dialog stilrein an-
muten.

Anderseits ergibt sich aus dem Vorstehenden, daß man sich hüten
sollte, Opern „durchzukomponieren", die nicht vollkommen, üie nicht in
allen Einzelheiten Grund hierzu bieten. Man kann in dieser Hinsicht
an Wagner und den nachwagnerischen Komponisten gar nicht genug
lernen. Bei Wagner — selbstverständlich sind seine Jugendwerke aus-
genommen — nirgends eine Stilunreinheit! Bei diesen jedoch erklärt
sich so die Schwäche gar mancher Stelle, wo die Musik an sich doch

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