Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1905)
DOI Artikel:
Nissen, Benedikt Momme: Die mittlere Linie, [2]: zur heutigen deutschen Kunstlage
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0735

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sondern auch die Frühmaler des Niederrheins, Flanderns, Frankreichs
— mit der unvergleichlichen Feinheit und Tiefe ihres Empsindens, mit
der Juwelenpracht ihrer Farbe — bislang so gut wie unbekannt. Diese
Malerei und, wenn man das Seelische, Charaktervolle als Maßstab
nimmt, dars man hinzusügen: Kultur ist von keiner modernen bisher
erreicht worden. Rethels markige Liniensührung ist voll von altdeutscher
Formgewalt. Böcklins Bilder erneuern die Farben- und Seelenstärke
der altschweizer Glasgemälde. Jn diesem Sinne sind auch solche neu-
deutschen Künstler dem Blute, dem Fühlen nach mittelalterlich. Und
umgekehrt: wie weit stehen nicht ein Manet und Liebermann geistig,
technisch, persönlich hinter dem durchgebildeten Seelenkünstler van Eyck
zurück. „Für dies Gemälde würde ich jede Torheit begehen", sagte von
des letzteren Arnolfinibild der Londoner Rothschild. Jene „mittelalter-
lichen" Künstler halten die mittlere Linie des germanischen Kunstgeistes
ein. Verwerfe man also nicht solches Mittelalter, solche Augenweide,
solchen Herzenstrost!

Das Klassische ist das Gesunde, das Romantische
ist das Ungesunde. lG o e t h e)

Dieser Ausspruch scheidet, so klar wie möglich, den rechten von
dem salschen Anschluß an die Vergangenheit. Solche Trennung kann
nicht scharf genug betont werden. Wer hierin auf Seiten Goethes steht,
wird beispielsweise nie Böcklin einen Romantiker nennen. Ein solcher
ist immer künstlerisches Halbblut; er wärmt stets irgendwie aus. Böcklin
ist so wenig Romantiker wie etwa Shakespere. Beider Werke sind völlige
Neugeburten.

Wer echtes Deutschtum nicht in sich trägt, wird es nie erjagen.
Aber deutscher Geist ist nicht immer mit deutschem Blut identisch:
Rethel war von jüdischer, Chamisso von französischer, Feuchtersleben
von Negerabkunft. Alle drei sind echteste Deutsche. Desgleichen ist
deutschtümelnde noch keine deutsche Kunst. Geist und Gemüt, nicht
Wams und Hosen der Altdeutschen gilt es zu erneuen. Zu warnen ist
zumal vor der jetzigen Modekrankheit, der Neu- oder Asterromantik.
Romantik und Rationalismus sind die zwei Gefahren, welche die echte
Kunst am meisten bedrohen. Das Aergste aber ist die bloße Mode-
romantik. Sie ist der Gipfel künstlerischer Verlogenheit. Sie liebt
die Vergangenheit nicht, sonderu üugelt nur mit ihr. Sie sucht nicht
die blaue Blume, sondern den blauen Dunst. Sie ist nur ein neuer
Ausdruck für modernitische Mattigkeit. Diese ist recht herzlich undeutsch.
Es gibt keinen größeren Jrrtum als das Nebelhaste sür das Seelen-
volle zu halten — in der Kunst und sonst. Der Krankmoderne will
am Gesundgeistigen durchaus rechts oder links vorbei. Für die heu-
tigen Deutschen sollte Erziehung zur Kunst immer zuerst eine solche zu
geistiger und künstlerischer Geschlossenheit, zur Prägnanz sein — also
eine solche hinweg von jeder impressionistischen wie neuromantischen
Zerflossenheit.

Früher hieß es, daß Helden wiedergeboren wer-
den, jetzt ist dies alte Weibermär. (E d d a)

Es überschreitet die Grenze des Erlaubten, wenn Justis sachlich-
wissenschaftliche Würdigung der falschmodernen Bestrebungen von Lie-
bermann öfsentlich ein „Pamphlet" genannt wird.

678 Runstwart XVIII, (0
 
Annotationen