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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0577

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mtscktes

standen werden, als empföhl' ich diese
Pyramiden st a t t des Christbaums,
ich empfehle sie nsben dem Christ-
baum. Jch mag die jetzt mit viel
Reklame empfohlenen „stimniungs-
vollen" Bäume ganz und gar nicht
leiden, auf deren tz>öhe ausgestanzte
Karton-Engel in Buntdruck herum-
schweben — ganz abgesehen davon,
daß der Hauptwert der alten Py-
rainiden beim Selbermachen da-
heim liegt, so paßt ein derartiger
Flugapparat auch nur auf ein Kunst-
gebilde, ist aber auf einem na-
türlichen Baume- stillos, d. h.
ein Widerspruch fürs Gefühl. Jch
persönlich liebe den Weihnachtsbaum
am meisten ganz unbehangen in
seiner reinen Waldschönheit, nur mit
den symbolischen Lichten, die übri-
gens im Wachskerzendufte ja auch
noch eine eigne Naturschönheit haben,
erinnert der Bienenwachsduft nicht
an den kommenden Frühling? Eine
Weihnachtspyramide nach Art der
alten bäurischen und recht viel
Tannen- oder Fichtengrün mit weni-
gen verstreuten Lichtern um diese
Pyramide herum, vielleicht sogar,
da schon die Pyramide leuchtet,
ohne weitere Lichte — das wäre
so mein privates Weihnachtstisch-
Jdeal. A

Bravo!

Die Marburger Reklame-
Mauer, die wir im ersten Sep-
temberheft (XVII, 25) abgebildet
haben, ach, sie hat nunmehr all
ihre Jnseratenpracht verloren. Und
wie kam das? Ein Zwangsmittel
gegen den Herrn Eigentümer gab
es nicht, der erließ stolze Anzeigen
in den Marburger Blättern und
schickte an den Kunstwart ein er-
haben-ironisches Schreiben, in dem
er sich für die schöne Reklame für
seine Reklamenwand bedankte. Nur
hatte er ohne die Marburger Stu-

denten gerechnet. Die nämtich schick-
ten nun an alle die Firmen, so
von der Mauer leuchteten, ein höf-
liches Brieflein ungefähr des Jn-
halts: Sie würden von jetzt ab
das Anzeigen dort als den Aus-
druck des Wunsches betrachten, daß
man nicht mehr bei ihnen kaufe,
und sich gewissenhaft danach richten.
Und siehe, über ein kleines, so sah
die Mauer aus, wie andre Mauern
auch.

Lernen wir von den Marburger
Studenten!

G Zum Ost Oh 05.

Bescheiden gerechnet nennzehn von
zwanzig Daten, die ich eben mit den
Briefen in der Hand Halte, schrei-
ben: 19. (2. OH. Danach wird man,
vermut' ich, am nächsten ersten mil-
desten Falles schreiben: st st 05,
weniger milden: st Ost 05 und im
Falle ernster Konsequenz: 0(. Ost 05.

Denn wisse, o Leser, Adam Rieses
Theorie, daß die Nullen nur hinter
den Einern etwas bedeuteten, ist
durch die Errungenschasten der Neu-
zeit überholt. Jnsbesondere da-
durch: Die Poststempel sind nur
auf je zwei Ziffern eingerichtet, bei
der Jahrhundertwende gerieten sie
also, die Poststempel, in Verlegen-
heit und sie gewährten sich schließ-
lich sür die bisherige 9 in der
Zehnerstelle eine Null. Dieses nun
sah der Bürger, und obgleich er
nicht mit festen Stempeln sondern
mit Feder und Tinte schrieb, so
kam ihm doch die Erleuchtung von
oben, und also bekundete er: Ost
Vier lange Jahre tut er das nun
schon. Und wer heiteren Auges und
respektlofen Herzens auf seine Mit-
menschen sieht, der fragt sich: Wird
dieser in seiner Kleinheit wahrhaft
vollkommene Unsinn wohl das ganze
erste Jahrzehnt überleben? Der
Menschenkenner vermutet es. A


530 Runstwart XVIII, 7
 
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