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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1904)
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Ernst Rietschel
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0468

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langte das damals, und was uns Heutige daran etwa stört, störte

damals keinen. Den Besten seiner Zeit hat Rietschel ohne Einschrän-
kung genug getan. Denn der kränkliche Mann, der die Arbeit so oft
sich abringen mußte, arbeitete mit einer Vertiefung in seine Sache,
die kein anderer übertraf. Die höchste Tugend aller wahren Kunst
eignete ihm wie so wenigen: die Bescheidenheit vor der Aufgabe. Nichts
war ihm gegensätzlicher, als das bewußte Herausheben seiner Persön-
lichkeit, nichts selbstverständlicher, als ein Zurückhalten alles Sub-
jektiven, gerade dadnrch aber ward, was er in sich trug, auf das Jnner-
lichste mit seinem Gegenstande zusammengehalten, und so kam es mit
ihm zugleich am edelsten zu Wort. Sein Wort „lauter" zu sprechen,
ganz so, wie er's fühlte, seine Helden ganz so zu zeigen, wie er sie
sah, rang er sich auch vom Konventionellen los und scheute er auch
Neuerungen bei den Ausdrncksmitteln der Plastik nicht. Neuerungen
freilich in der seelischen Erfassung seiner Helden zeigt er nirgends.
Wären sie ihm gekommen, so hätt' er sie abgewiesen, denn dem Volke
wollt' er seine Standbilder geben, und wie das Volk seine Helden
fühlte, so wollt' er sie sichtbar bilden.

Wer sich dessen bewußt bleibt, wird Rietschels Werken auch heut
noch gerecht werden können, mag er auch anfangs von dem gestört
werden, was nur den ungestört lassen kann, der die alten Forderungen
an Plastik nicht begreift, die heut wieder neu geworden sind. Was wir
unter monumental und was wir unter dekorativ verstehen, ist etwas
anderes, als was Rietschel darunter verstand, und selbst der Begriff
plastisch hat seine Bedeutung seit seiner Zeit geändert, weil er zu
seinen Zeiten abgewichen war von der großen Entwicklungslinie, die
von der Antike über die Renaissance zum Barock führte und der wir
Heutigen wieder näherstreben. Daß auch das Material beim seelischen
Ausdruck hochwichtig sei, war zu Rietschels Zeiten kaum Einem in
solchem Maße bewußt, wie uns, und Werke, in denen auch bei der
Plastik der Stein gewaltig als Stein mitspricht, wie etwa das neue
Bismarck-Denkmal für Hamburg, würden Rietschel wohl nur befremdet
haben. Aber es gibt nun einmal in der Kunstgeschichte keinen Gewinn,
der nicht erkauft werden müßte. Und wo Künstler selbst, den Blick
auf Neuland, vielleicht ihre Kräfte nur schwächen würden durch häu-
figes Umsehen auf altes Gut, hat ja der Kunstfreund das Glück, in
seinem ruhigern Wandern verweilen und zurückblicken zu dürsen. Tut
er's bei Rietschel dem Künstler, so wird zu ihm eine Seele von jener
Einfachheit sprechen, die Vornehmheit bis zur Größe ist. Die deutsch-
nationale Volksseele der fünfziger Jahre, die in den großen Helden
unsrer Rede und unsrer Töne die leitenden Einiger sah, hat ihren
besten bildnerischen Verkörperer in Rietschel gehabt.

2. Dezemberheft tZOH H25
 
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