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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1904)
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Batka, Richard: Lieder zur Laute
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0466

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zielende Literatur zu pflegen. Jn München vermochte Heinrich Scherrer
die Bewegung glücklicherweise in gesündere Bahnen zu lenken. Er
betonte die Eigenschast der Laute als dienendes, als Begleitinstru-
ment. Er ging auf die alten Lautentabulaturen zurück und lernte
da einen kunstmäßigen und doch aus der Natur des Jnstrumentes
geschöpften Tonsatz, der sich über die trivialen, landläusigen Akkord-
grisse erhob, die äußerlichen Bravouren des Virtuosenstils vermied
und dabei des harmonischen, ja selbst kontrapunktischen Reizes nicht
entbehrte. Er ging endlich beherzt auf das Ziel los, das Lautenspiel
von vornherein in den Dienst des Volksliedes zu stellen, ja es gelang
ihm, in dem Sänger Robert Kothe, der die Juristerei aus Liebe zur
Sache auf den Nagel gehängt hatte, einen praktischen Vertreter seiner
Jdeale auszubilden: der deutsche Scholander konnte in die Welt ziehen,
um das Evangelium des deutschen Volksliedes zu predigen.

Die geeignetste Kanzel hierfür war das Konzertpodium. Zieht
aus diesem Wege so manches musikalische Uebel ein ins deutsche Haus,
warum soll er nicht einmal das Gnte vorwärts bringen? Aber ein
Kompromiß, ein Notbehelf bleibt's eben doch, denn diese Gesänge sind
nicht in Absicht auf den Konzertvortrag entstanden, sie gehören ins
Leben hinein, in zwanglose gesellige Kreise, in den Schoß der Familie.
Sie sind Hausmusik im guten Sinne und schon vom Standpunkte des —
Nachbarn der nervenpeinigenden Klavierpaukerei vorzuziehen. Möchte
darum Kothes Beispiel gerade in Liebhaberkreisen eisrige Nachahmung
sinden. Die Technik der Gitarre* ist nicht allzu schwer, wenn es auch
einiger Uebung bedarf, um den nicht schnarrenden, sondern klingenden,
tragenden Ton zu erzielen und Scherrers künstlerischen Lautensatz zu
bewältigen. Jn seine zuständige musikalische Atmosphäre zurückversetzt,
ersteht da das Volkslied wieder zu neu pulsierendem Leben.

Kothe singt Altes und Neues. Bis ins vierzehnte Jahrhundert
zurück greist er in seinen Programmen. Und doch hat man nirgends
das Gefühl, vor antiquarischen Liebhabereien zu stehn. Wie lieblich
innig klingt das „All mein Gedanken die ich hab", wie liebesfroh
das Lied „Drei Laub auf einer Linden", wie rührend die Ballade
von den „Zwei Königskindern", während das mystische Trinklied der
rheinischen Nonnen alle Schauer mittelalterlicher Askese und religiöser
Erotik herausbeschwört. Gibt es etwas von unschuldigerer, in sich be-
seligterer Kindlichkeit als das Weihnachtslied „Susani"? Oder etwas
Dämonischeres als die Geschichte von dem Jäger, der in sein Horn
blies? Oder einen grimmigeren, barbarischeren Humor als den im
„Tod von Basel"? Versetzen nicht Schelmenlieder wie die „Vogel-
hochzeit" oder der „Wettstreit zwischen Wasser und Wein" alles in
die gemütlichste Stimmung? Und alle diese unmittelbar wirksamen
Schlager sind viele hundert Jahre alt! Nichts irriger aber, als ange-
sichts solcher Schätze die gute alte Vorzeit in den Himmel zu heben,
um die moderne Gegenwart zu verachten. Denn keineswegs ist alles
so unverwelkt, was uns die Borzeit hinterlassen hat, wie die ge-
nannten Stücke. Lebendige, nicht veraltende Kunstwerke entstehen zu

* Man bevorzugt jetzt Jnstrumente, welche die äußere Form, den Schall-
körper der Laute, aber die Besaitung und Spielweise der Gitarre ausweisen.

2. Dezemberheft lAOH q.23
 
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