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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
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Fricke, Richard: Sprechsaal: "Bearbeitungen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0162

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Verständnisses Beethovens getan hat, ist schlechterdings unschätzbar.
Was seine „Veründerungen" betrisft, so ist jeder Zusatz, jeder Punkt,
den Beethoven nicht selbst geschrieben, als solcher durch die Schrift
gekennzeichnet und zwingt also nicht, hier sklavisch zu befolgen. Jn
seinen Anmerkungen aber sließt eine unerschöpfliche Quelle der tiefsten
Belehrung nber üas Wefen dieser Musik. Wer hätte nicht daraus An-
regung geschöpft, ja wer könnte behaupten, daß er nicht daraus erst
Klarheit über viele Seiten in Beethovens Kunst gewonnen hätte! Solche
Ausgaben zeigen üem Studierenden gerade den Weg zu einer leben-
digen Wiedergabe der Kunstwerke, ohne eine Fessel zu sein, anstatt
eine „bemitleidenswerte Haltlosigkeit" zu erzeugen, und sind nicht nur
„für Musikliebhaber in kleinen Stüdten und auf dem Lande" nützlich,
sondern auch jeder Musiker wird das Eingeständnis nicht scheuen, daß
er viel daraus gelernt habe. Dagegen sind allerdings Ausgaben von
„Lebert und Genossen", zu denen ich aber auch den vom Verfasser
empfohlenen Reinecke zähle, überflüfsig und znm Teil schädlich.

Was Fricke noch von „subjektiver Freiheit" in bezug auf
Fingersatz und Pedalgebrauch sagt, könnte zu der Annahme führen,
daß ihm die Probleme, die hier vorliegen, nicht ganz geläufig feien,
daß er die Bestrebungen Liszts, Bülows und Tausigs in dieser Rich-
tung nicht ganz kenne. Da ich mich kürzlich über „Neue Ausgaben
älterer Klavierwerke" ausführlich im „Klavierlehrer" ausgesprochen
habe, darf ich wohl dorthin verweisen. Jch bemerke hier nur noch,
daß Fricke glücklicherweise sich keine Hoffnung machen kann auf ein
Ende der Aera der Orgeltranskriptionen* und Opernphantasieen,
aber er brauchte nicht Liszt und Thalberg auf denselben Rang
zu stellen und auch nicht das wenig ritterliche Auspfeifen zu emp-
fehlen, denn wenn die Leistungen künstlerisch sind, würde das nicht den
Künstler, sondern den Pfeifenden verurteilen. I. vianna da Molta

*

Jch mache ebensowenig wie andere Menschen auf Unfehlbarkeit
Anspruch, aber eine Replik auf einiges in Vianna da Mottas Er-
widerung möge man mir doch gestatten:

j. Muß man durchaus einen Widerspruch konstruieren, wenn
ich sage: Die Bezeichnungen von der Meister Hand genügen für das
Verständnis und die Wiedergabe ihrer Werke, nur muß man ihre
Bezeichnungen gleichsam erst „lesen" lernen —? Und das zu erreichen,
ist ja wohl nicht so gewaltig schwer, daß man deshalb gleich nene Aus-
gaben veranstalten müßte.

2. Wenn Vianna da Motta meint, ich empfehle einen Vortrag
der klassifchen Werke „unter zu buchstäblicher Befolgung und ohne
Ergänzung der Zeichen", fo hat er meinen Aufsatz entweder nicht
aufmerksam gelesen oder er versteht ihn nicht in seinem Kern.

3. Muß ich wirklich Vianna da Motta auf Martin Luthers
kleinen Katechismus hinweisen, um ihm meinen Ausspruch „eine Urtext-
ausgabe allein tut's freilich nicht" verständlich zu machen? Den An-

* Man versäume nicht über Berechtigung der Orgeltranskriptionen
Busonis meisterhafte Abhandlung in seiner Ausgabe des „Wohltemperierten
Klavieres" zu lesen.

l. Novemberheft chO^!
 
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