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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0182

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Er erschrak fast. Ern Gelächter war plötzlich losgebrochen. So ein-
mütig aus allen Kehlen kam es und so überraschend, daß es ihn sörmlich packte.

Er taumelte und sank wieder auf die Kniee. Wie im Traum hörte er
sie alle untereinander schreien.

„Was, was sagt das Herrchen?!"

„Bunte Ostereier will er uns schenten, sagt er!"

„Guter pnnierslr!"

„Ein Liebling ist er, ein Herz von Gold!"

„Ostereier will er uns schenken, das Bürschchen! Seine Ostereier,
die er geschenkt kriegt! Daß die heilige Mutter ihn segne!"

Wie vorhin, so drängte auch jetzt die Rotte gegen die Freitreppe an.
Wie vorhin, so blitzten auch jetzt die Augen, wie vorhin, so streckten sich
auch jetzt die Hände aus. Aber Jnspektor Hoppe konnte ruhig aus den
Knieen liegen bleiben und starren und starren mit weitgeöffneten, erstaunten
Augen. Diese Hände da, diese heftig gestikulierenden, sich reckenden Arme,
wollten jetzt den Herrensohn nicht mehr herunterreißen, sein Blut nicht
mehr vergießen am Scheunentor.

„Kleiner Mnieritzlr! Lieber pnnio^ost! Goldener panie^slc!" Ein
Durcheinander von Zärtlichkeiten schwirrte zur Schwelle des Herren-
hauses empor.

„Die heilige Dreieinigkeit soll ihn hüten!"

„Daß er gesegnet sei mit goldenen Aehren und langen Jahren!"

„Daß er groß wachse wie ein Baum und Schatten gebe!"

„Daß er lebe: hoch!"

Jezierski hatte das geschrieen und sich hochgereckt unter der leichten
Last, die seine starken Schultern nicht spürten. Den Hut vom Kopf reißend,
schwenkte er ihn mit gellendem Jauchzen. Und gellendes Jauchzen gesellte
sich dem seinen.

Weithin tönte es durch die Nacht, ein Jauchzen, das Krast hatte,
Tote zu erwecken. Ueber den Hof, übers Herrenhaus weg, über den See
hörte das der Lysa Gora.

„Der junge gnädige Herr soll leben! Er lebe hoch! Hoch! tz»och!"

Jetzt knarrten die Stalltüren, jetzt ließen die Fornals sich sehen,
und auch des Stellmachers Stimme wurde laut aus der Schmiede:

„Holla, was ist denn da los?!"

Nun bedurfte man dieser Hilfe nicht mehr.

Des Jnspektors Augen wurden starrer und starrer, er wußte nicht,
wie ihm geschah. Sah er denn recht: das deutsche Kind hoch auf polnischen
Schultern?! Und schwielige Männerhände, hart wie Eisen vom Lenken des
Pfluges, vom Führen der Senfe, reckten sich liebkosend nach der weichen
Kinderhand?!

Ein Schauer überlief den alten Mann. Eine Erregung schüttelte
ihn so mächtig, daß er aufschluchzte. Nebel legten sich vor seinen Blick,
die Tränen liefen ihm übers Gesicht. —

Als Jnspektor Hoppe wieder seiner selbst mächtig war, zog die Rotte
eben zum Tor hinaus.

Horch, wie Donner rollte es vom Lysa Gora! Nein, das Gewitter
war abgezogen, es waren nur die Räder einer Kutfche, die auf dem Fahr-
weg längs des Sees holperten. Frau von Doleschal kam zurück.

f. Novemberheft tS7
 
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