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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 3 (1. Novemberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0184

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schon früher bckenncn inußtc, leider
neue Unterlagen bringt. Wünscht
Lienhard für diese Bemcrkung die
öffentliche Bcgründung, dann vcr-
langt die Billigkeit, daß ich sie
nbringe. Setzt er übcrhaupt diefe
Art von Angriffcn fort, dann ver-
langt die Sache des Kuustwarts,
darauf einzugehen, des aliciuiä ßsvrkt
wegen. Sonst nicht. Daß und wes-
halb wir vom Kunstwart in Lien-
hards Tätigkcit weder einc Höhen-,
noch eine Tiefen-, sondern einc
Höhcndunstkultur fehen, die das Ten-
ken in Phraserei und das Fühlen
in Geschwärm auflöst, das wisscn
die Leser aus Wcbers und meinen
Aufsätzen über ihn. Daß er seiner-
seits uns ganz außerordentlich ge-
ring schätzt, desscn versichern wir sie
hierdurch ein für alle Mal. Wir
Nlöchten gern Raum und Zeit sür
die allerhand Dinge sparen, die ihnen
und uns merkwürdigcr sind. A

G Nicolaus Krauß
Das Buch des Egerläudischen Er-
zählers heißt „Heimat" (Berlin, Flci-
schel, 9 Mk.), ist bereits drei Jahre
alt und drei Bände groß. Rekannt
und gelesen scheint es aber nicht zu
sein, trotz mancher guten kritischen
Fürsprache. Warum nicht? Ze nun
-- das Heimatliche ist nicht mehr
das Neueste, und das Heimatliche
äu drei Bänden wirkt vollends wie
ein Attentat auf den ungeduldigcn
Geschmack der reizsamcn Zeit. So
geraten Bücher wie dieses in das
gcräumige Schubfach des Erledigten
als litcrarhistorische Mottenfänger.

Das aber verdient die „Heimat"
von Krauß noch eine gute Weile
uicht. Er erzählt dic Geschichte einer
R'aise, eines Mädchens, das sich
durchs kümmerlichste ländliche Leben
unt unverwüstlicher Tüchtigkeit em-
porarbeitet und oben bleibt bis zu-
kotzt. Ein sehr reiches Bild deut-
scher Dörflichkeit bictct der erste

Band. Die Lene wandert hungernd


Novcmbcrhcft 190^

durch die Ticfen, erst des Schul-
hauses, dann dcr Schenke, des ar-
beitsreichcn Kleinhofes und der ver-
lotterten Großwirtschaft, ehe sie zu
cinem richtigen Bauern und von
dem sort endlich zum Förster von
Konradsreuth zieht, dessen Hausfrau
sie wird. Es ist eine doppelte Ent-
wicklung in dieser Folge: die eine
vollzieht sich an dem Mädchen selbst
durch die Verhältnissc, die andre
scheint sich umgekehrt an der Um-
wclt zu vollziehn, die uns von Fall
zu Fall anders, größer und tiefer,
eben mit dcm erweiterten Verständ-
nis und dcm vcrtieften Empfinden
der Hauptperson veranschaulicht wird.
Dies ist nun zwar keine Besonder-
heit dicses Entwickelungsromans
allein, sie eignet der Gattung, ist
wenigstens als Eigenschaft zu ver-
langcn. Aber es gehört eine nicht
gewöhnliche Kunst dazu, die For-
derung so sesselnd zu erfüllen.

Ja, das Werk hält fest, trotzdem
es zu Anfang nicht viel mehr schil-
dcrt, als was im Tageslauf eines
stillen Kindes, im Jahreslauf einer
Magd bemerkenswertes vorfällt: das
Spielen und Naschen, das Häcksel-
schnciden und Brotbacken genau so
sachlich wie etwa den Rückzug eines
fremden nächtlichen Liebhabers. Um
vieles konzentrierter, leidenschaftlich
bewegter entwickelt sich die Handlung
im zweitcn Bande. Die kurze Ehe
mit dem Förster droht übel aus-
zulaufen, der Wald steht zu Än-
fang wie eine Mauer zwischen ihm
und der Frau, gcnauer: seine Liebe
zum Walde, aus der sich Charakter,
Ehr- und Rechtsbegriffe des älteren
Mannes markig und wetterfest her-
ausgebildet haben. Die Szene, in
der Lene dicsen Charakter ganz er°
kennt, ist zwar etwas verunglückt:
sie hält den Förster davon ab, sich
einer schnöden Verdächtigung wegen
das Leben zu nehmen, ein Motiv,
das selbst für das krankhaft über-

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