Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [15]: Soziologie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0364

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
schaftlichen Begriffsbildunff" und, zusammeufafsend und meiterführend: „Kultur-
wissenfebaft und Naturwissenschast", ein Vortiag, dem als Ergänzung die kmre
Nektoratsrede Windelbands: „Geschichte und Naturwisfenschaft" zur Seite
zu stellen wäre. Diese Klarheit fehlt leider einer anderen Rektoratsrede eines
der ersten Vertreter einer „organischen" Theorie: Gierke, „Das Wesen der
menschlichen Verbände", die sonst reich an tiefen Einblicken in einzelne Seiten
des Rechtes ist. Datz in den grotzen Logiken von Sigwart und Wundt zur
selbständigen Orientierung über diefe Vorfragen genügende Anknüpfungspunkie
gegeben werden, bedarf nur des Hinweises.

Familie. Seit Bachofens „Mutterrecht" (1861) haben auf diesem
Gebiete die meisten und eingehendsten Umersuchungen stattgefunden. Jenes
phantastische Werk des Baseler Appellanonsrates hat durch feinen Gehalt nicht
weniger als durch dw materialistilchen M'tzverständnisse, die ihm wurden,
revolutionierend auf die vererbte Familienauffassung gewirkt. Es glaubte aus
ältesten Vlythen und Kunsiüberlieferungen eine aller Vaterfamilie vorhergehende,
auf die Abstammung von Mutterfeite allein begründcte Geschlechtsgememschaft
der Urzeit nachweisen zu können. Die Einschränkung diefer Entdeckung auf
verhältnismätz'g wenige sicher verbürgte Fälle ist in den letzten zwanzig Jahren
eines der Hauptergebnisse der Familienforschung gewesen, die wesentllch durch
die inzwischen glänzend ausgebaute Völkerkunde unterstützt worden ist. Sehr
lesbar, aber in wesentlichen Partien veraltet, ist Lipperts „Geschichte der
Familie". Unterhaltend, in gutem Sinne, ist durch die Leichtigkert der Dar-
stellung und die Fülle völkerkundlichen Swffes Fr. v. Hellwalds: „Die
nienschliche Familie nach ihrer Enistehung und natürlichen Entwicklung". Sehr
gründlich, aber nicht immer klar und dem Anscheine nach schlecht übersetzt, rst
des dänischen Soziologen Starcke Buch: „Die primitive Familie", sehr breit,
aber auch sehr solid si, d A. H. Posts Schristen zu unserer Frage: „Die Ge-
schlechtsgenossenfchaft der Urzeit und die Entstehung der Familie", uud recht
übeisichtlich ist die „Ethnologische Jurisprudenz". M't durchaus selbständiger
und femer Kritik hat Dargun in „Mutterrecht und Roubehe" und ganz be-
sonders in „Mutteirccht und Vaterrecht" auf verhältnismätzig kleinem Raume
weitgehevde, völkerkundliche und rechtsgeschichtliche Studien zusammengedrängt.
Dafür überschüttet uns der Helsingforser Professor Westermarck in seiner
gut ins Deutsche übersetzten „Geschichte der menschlichen Ehe" mil einer Fülle
von Material, das er namentlich zur Widerlegung der sogenannten Promis-
kuitätshypothese (schrankenlossr Geschlechtsverkehr in der vorfamiliären „Horde")
verwendet; freilich ohne zu einer plastischen Abrundung des Stoffes und zu
einer scharfen Fvrmulierung der Probleme zu gelangen. Eine solche liegt in
der viel kleineren Schrift von Grosse vor: „Die Formen der Familie und
die Formen der Wirtschast". Wer durch die Art der Untersuchung gleichsam
an die Probleme direkt herangebiacht werden will, dem mag die letzte Schrift
in erster Linie empfohien sein; sie hat den Vorzug guter Kritik, daß sie dem
Leser auch die Möglichkeit, anders zu schlietzcn, aus dem Material selbst offen
lätzt. Wer dagegen zuverlässige und rasche Orientierung suchl, der findet die
Dinge in guter Zusammenstellung in der klemen Kompilation von Achelis:
„Die Entwicklung der Ehe". Wer endlich meint, daß auch die wirkl-ch geist-
reiche Hypothese ihr sehr gutes Recht hat, für den wäre des kürzlich erst vierzig-
sährig verstorbenen Heinrich Schurtz' glänzende Schrift „Altersklassen uud
Männerbünde" eine Erquickung. Viel zu sehr wiegt, unter dem Anscheine der
Sicherheit, dasHypothetische vor inKohlers Schrist „ZurUrgeschichte derFamilie".
Schon wegen des giotzen Einflusses, den sie auf Arbeiterkreise gehabt hat, sei
noch genannt Friedrich Engels' Schrift „Der Uisprung der Familie, des Privat-
eigentums und des Staats", eine Tendenzschrift ohne eigene Foischung, wesent-
lich auf des Amerikaners Morgan „Urgesellschaft" aufgebaut. Jdyllisch an-
gehauchter Erbauung kann immer noch Riehls Familie dienen, deren erster
Auflage (1855) jeder noch Aufmerksamkeit schenken mutz, der die SUmmung der
Jahre nach 48 erfassen will. Zum Erweise der Wohrheit der katholischen
Christlichkeit sollen des Engländers Devas ins Deutsche als „Studien über
das Familienleben" übersetztenVergleiche der vor-, der nach- und der echt-christlichen
Familie dienen.

Volk und Nation. Hier unterrichtet zunächft Neumanns „Volk und
Nation" über die schwankende Terminologie. Jm „Rassenkampf" sieht Ludwig

326 Runstwart XVIII, heft ^
 
Annotationen