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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [15]: Soziologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0367

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Sitte. Es sei hier nur iu Kürze auf die großen Ethiken hiugewiesen,
die wir P auls en, Wun dt, Stein rhal, NahtowSky, Simmel s„Ein-
leiiung in die Moralwissenschaft"), Schuppe (mil großer prinzipieller Schärfe
und weitgehender Forllührung deS Prinzips inS Gebiel der Rechtsphilosophie),
Lazarus („Der Ursprung der Sitlen" und „Die Eihik des Judeniums^)
Natorp („Sozialpädagogik") verdanken. Dazu sei noch genannt v. Oetlin gens
Moralstatistrk und die vielsach hierher gehörigen Reden und Aufsätze von
Rümelin. Eme besondere Würdigung verdient das sreilich schäiferes
Nachdcnken voraussetzende, aus mehrere Bände Lerechvete Werk von R.
Goldscheid, „Zur Ethik des Gesamtwillens", der in schärsster Weise d,m
leidigen Opporrunismus den Kr eg erklärt und eine sittliche Wiedergeburt
der höheren Klassen sordert, die Benthamsche Formel vom größtcn Glück der
größten Zahl durch das Axiom: Germgstes Le d der geringsten Zahl ersetzt
uvd vom Kampf ums Dasein zum Kampf ums Recht überleitet. Auch die
veuerdivgs in v-rschiedeven Uebertragur gen erschienenen Emersonschen
Schriften, ausgezeichnet durch eine nachhaltige Glut echter, warmherziger Be-
geist-rung, die sich frei hält von jeder schiüernden Rhetorik, dürsen an dieser
Sielle genannt werden; obwohl nicht jeder dcn genialen Emdcckungen des
liefblickenden Tenkers zu folgen imstande sein wird, wendet sich seine Tätigkeit
gerade der großen Masse der Gebildeten zu, die er für seiven großartigen
Jvdividualismus gewii nen will. Aus Lem Gebiete der Erziehun g sei nur
ausmerksam gemacht auf Willmanns „Drdaktik der Bilduvgslehre nach
ihien Beziehungen zur Sozialerforschung uvd zur Geschichte der Bilduvg"',
ferner aus Las große Werk von Schmid: „Geschichte der Erziehung", die
„Enzyklopädie* von Rein; auch Paulsens „Geschichte deS gelehrten Uvter-
richts", sowie das „Bilduvgswesen"' in Lorenz v. Sterns „Verwaltuvgslehre"
ist hier nicht zu vergessen.

Sozrologie als solche. Zum Schlvsse voch cinen Blick aus Werke,
die eine Gesamlanstcht der menschlichen Kullurentwickeluvg als einer gesell-
schaftlichen Arbeilsleistuvg des Menschen aus allevGebikten aufgeben, also aus
jene Werke, die sich meist einfach selbst „Soziologie" nennen. Da wären etwa
die Schristen von Eisler (in Webers Katechismen), Achelis (Sammlung
Göschen), L. Gumplowicz („Grundriß") Loria (übersetzt aus dem Ztalie-
nischen), Herbert Spencer (wohl auch dem harmlosesten „Laien" als „Name"
bekannt). Eine treffiiche Uebersicht des Wichtigsten, auch des Vielen, das vom
Auslande hier geleistet ist, gibt Barth in der „Philosophie der Geschichte als
Soziologie^ (leider bisher nur Bd. I). Ein gut gruppierter und klar dar-
gestellter Bücherkatalog ist im Grunde das gerade aus diesem Grunde sehr
„nützliche" Werk von Ludwig Stein „Die ioziale Frage im Licht der Philo-
sophie"'. Zu den am wenigflen „lesbaren" Werken unseres Gebietes, tatsächlich
aber das bedeutendste deutsche Werk darin ist wohl: Tönnies: „Gemeinschaft
und Gesellschaft, Abhandluvg des Sozialismus und Kommunismus". Sehr
abstrakt ist Ratzenhofers „Wesen und Zweck der Politik"; als Teil der
Soziologie und Grundlage der Staatswisstnschasten aber ein geduldiges
Studium gewiß belohnend. Von geistreicher Konstruktionskrast zeugt auch die
wenig bekannte „Entstehung des sozialen Problems" von Arnold Fischer,
der Gumplowiczs, Ratzenhofers, Lorenz v. Steins, Morgans, Maines u. a.
Forschungen vereinigt. Hrerher gehören auch die Schristen Zulius Lipperts
(„Kulturgeschichte", „Allgemeine Geschichte des Priestertums" usw.), Zenker:
„Die Gesellschaft"; stark darwinistisch: Schäffles berühmter „Bau und Leben
des sozialen Körpers"', auch v. Czöbels „Entwicklung der sozialen Verhält-
nisse" wäre zu nennen. Zu feiner pspchologischer Analyse geht der gut über-
setzte Amerikaner Baldwin vor in: „Das soziale und sittliche Leben, erklärt
durch die seelische Entwickeluvg". Auch der altkatholische Philosoph Jakob
Frohsch ammer wäre mit seiner „Organisation und Kultur der wenschlichen
Gesellschaft" unter die Jdealisten zu zählen, wenn er auch sonst weit von den
beiden letztgenannten abweicht. Benjamin Kidds, eines Amerikaners, sehr
gut übersetzte „Soziale Evolution" gibt auch einen mehr idealistisch angehauchten
Versuch in leichterer Darstellung. Sehr geistreiche Gesamtansichten enthält
Simmels „Pbilosophie des Geldes", eine ganze Soziologie von einem be-
stimmten Punkte aus entwickelt. Nicht eben leicht, aber eigenartig die Kultur-
epochen nach ihren Haupitendenzen charakterisierend ist Kindermannns

2. Novemberheft (ZOH

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