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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [16]: Jugendbücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0370

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und der Lebensfreude erschließen will, der wird sehr sorgfültig wählen
müssen. Er schaue sich um in der Literatur der echten Künstler, d. h.
der Männer, die wahr empfundenes Leben wahrhaftig gestalteten. Und
anderseits: er schaue sich um in der Literatur der echten Gelehrten,
d. h. der Männer, die wirklich der Sache wegen schrieben. Wo der eine
und der andere pädagogisch begabt war, leicht und klar darzustellen wußte,
und wo sein Stoff ihn nicht über die Lebensgebiete der Jugend hinauswies,
da ist brauchbare Jugendliteratur — künstlerische oder belehrende.

Wer nach solchen Grundsätzen auswählt, kann freilich keinen bogen-
starken Katalog bieten. Aber eine der traurigsten Ursachen der Verflachung,
die nicht selten schon in der Jugend ihren Ursprung hat, ist ja eben die
Vielleserei. Sollte nicht auch sie am sichersten behoben werden, wo
Eltern und Kinder sich an demselben Kunstwerk erfreuen können? Ge-
meinsames Erlebnis bedeutet hier Vertiefung für beide Teile.
So ist denn der geringe Umsang der folgenden Auswahl gewollt.

Das Bilderbuch vermittelt dem Kindesauge in den meisten Fällen
die ersten im engeren Sinne künstlerischen Eindrücke. Die Ausbeute an
echten Kunstwerken, die in Zeichnung und Farbe und Tiefe der Empfindung
eine ernste Kritik bestehen können, ist nicht sehr groß, genügt aber zur Not.
Jn erster Linie stehen noch immer die „Alten", vor allem Ludwig Richter
mit seinen Jllustrationen zu Grimms und Bechsteins Märchen, zu „Vaer de
Gaern", zu Scherers „Deutschem Kinderbuch" — das heuer in verjüngter
Gestalt vorliegt —, zu „Aus dem Kinderleben" u. v. a. Der Künstler soll
dem deutschen Volke noch wiedergeboren werden, der seinem Gemüte so
nahe steht. Mit besonderer Freude weisen wir auf die billige „Ludwig-
Nichter-Gabe" bei Dürr hin, eine Auswahl von 16 Bildern für 1 Mk.
Der zweite bedeutende Meister des Kinderbuchs ist Otto Speckter; seine
Bilder zu den Heyschen „Fabeln" sind ja auch überall verbreitet, ein „Katzen-
buch" und ein „Vogelbuch" mit Speckterschen Bildern hat Falke mit liebens-
würdigen Versen herausgegeben, sein schon der Technik nach von allen am
feinsten und liebevollsten durchgeführt"s Kinderbuch, den „Gestiefelten Kater",
hat Avenarius mit einem neuen lustigen Texte als eine der billigen Kunst-
wart-Unternehmungen der Allgemeinheit wieder gewonnen; seine feinsinnigen
Bilder zu Andersen finden wir in einer Auswahl von Andersens Märchen,
und im vorigen Jahr sind seine 12 Bilder zu „Brüderchen und Schwesterchen"
neu erschienen. Oskar Pletsch, der dritte bekannte jener alten Herren,
reicht an Bedeutung weder an Speckter noch gar an Richter heran; seine
Phantasie und damit Lebensfülle ist ungleich geringer, seine Auffassung
ungleich oberflächlicher und mitunter süßlich — aber gute Kost ist auf
diesem Gebiete doch so knapp, daß wir die immerhin verdauliche Pletschs kaum
ganz entbehren können. Dem Uebelstande, daß Pletschs Bücher zu teuer
wären, wird jetzt auch durch gute billige Ausgaben abgeholfen. Schade,
daß die Geschäftsspekulation des neuen Verlegers bei den teureren „Pletschs"
mancherlei Buntheit plump hinzugetan hat — auf solche Weise dient man
dem Verlangen nach Farbe schlecht. Die Berechtigung dieses Verlangens an
sich bestreiten wir natürlich nicht, durch gute Farbigkeit von Kinderbüchern
könnte natürlich auch sür die Erziehung des Auges manches geschehen. Leider
sind die wertvollen Bücher auf diesem Gebiete bald herzuzählen. Wir beschränken
uns hier auf ein paar Hinweise: W. Busch, „Hans Huckebein" und „Schnaken
und Schnurren", K. Gehrts, „Das goldene Märchenbuch", F. Flinzer,
„Tierschule" und manches andere seiner Bücher. Kinder etwa vom zehnten
Jahre ab wird P r o b st s „Schnellmaler" und sein „Was soll ich malen?"
unterhalten und anregen. Ob sich für die Kleinsten Meggendorfer
empfehlen läßt, hängt unseres Erachtens sehr von der Jndividualität des
Kindes ab; er könnte sicher weniger hölzern sein, hat aber in der simpeln
Klarheit seiner Farben und Linien doch auch Werte, die nach all den üblichen
Lutschbonbons auf Kindermägen heilsam wirken können. Wir unserseits be-
kennen übrigens, am alten „S t r u w w e l p e t e r" trotz aller seiner Mängel
immer noch unsere Freude zu haben.

Sehr am Platz sind die künstlerischen Bestrebungen, die seit einigen
Jahren auf dem Gebiete des farbigen Bilderbuchs eingesetzt haben. Das
erste wirklich künstlerische deutsche Buch dieser Art waren Ernst Krei-

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