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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Schenken: ein Strauß Binsenweisheiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0453

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Also vom Schenken. Es hat bis vor kurzem zwei würdige alte
Damen gegeben, von denen hatte vor Zeiten einmal die eine der
andern ein Goldstück verehrt. Die andere hob es in Dankbarkeit
auf, und als der Geburtstag der ersteren genaht, schenkte sie ihr die
zwanzig Mark Reichswährung der Einfachheit halber mit eben dem-
selben Goldstücke zurück. Als ihr eigener Geburtstag wiederkam, er-
hielt abermals sie es. So schlummerte lange Jahre hindurch das
Goldstück im Kasten der einen und im Kasten der anderen abwechselnd,
und zu jedem Geburtstag wechselte es. Das war der Schenk-Stumpf-
sinn, in höchste Ordnung gebracht.

Und Ordnung nnd Geschenk sind doch eigentlich zwei Dinge,
die an sich schon auseinanderstreben. Steck alle in Unisorm, rät der
Geist der Ordnung, mach je nach dem Träger jeden Rock anders,
rät der Geist des Schenkens. Denn zum Beispiel Weihnachtsgeschenke
in bar nach so und so viel Prozent vom Jahresgehalt, das sind doch
immerhin nur Geschenke, wie Abfütterungen Begastungen sind. Es
geht ohne beide nicht, freilich. Wer aber von Geschenken oder von
Gastfreundschaft reden will, wird sich was andres snchen, um seine
Begrisse „abzuziehn".

Jch meine, sür den Begrifs „Geschenk" etwa den Liebenden,
der seiner Braut etwas verehrt. Nicht Herrn Rous von Hunger-
stein, der eine Kommerzienratstochter freit, um „sich zu arrangieren"
oder die vielen, denen er Vorbild ist. Aber der Bursche, in dem sich
alle Sterne spiegeln, wenn er an Sie denkt, und der dabei für eine
krästige Seele in allen vier Herzkammern gesunde Wohnung hat, der
kann sicher anschaulich zeigen, was es eigentlich ist. „Gutes tun,
indem man opsert." Nein, das ist jede Wohltätigkeit, und das Al-
mosen in irgendwelcher Form ist doch nur in erweitertem Sinne ein
Geschenk, ist nicht, sprechen wir gelahrt, das „spezifische" Geschenk.
Unserem Liebenden jedenfalls steht beim Schenken nicht das Bedürs-
nisstillen ganz zuvorderst rm Sinn, sondern das Erfreuen. Jm Hin-
tergrunde aber steht, ganz stattlich groß, noch was anderes. „An
mich soll sie dabei denken." Und zwar womöglich recht stark und
recht lange, denn wir sind ja allesamt Selbstsüchtler. Also: Das
ist durch Fleisch und Knochen vom allerreinsten Blute gebildetes Ge-
schenk, das um zu erfreuen ein Stück vom Eigenen mitgibt,
damit es im andern weiterlebe.

Jch hab einmal einen reichen Herrn gekannt, der hatte eine
Pastorstochter als Erzieherin seiner Kinder im Haus. Zu Weih-
nachten schenkt' er ihr allerlei Nützliches. Er machte ihr große Freude
damit, nicht nur, weil sie's bedurfte, mehr, weil alles so gut und solid
und so sorgfältig gewählt war, daß sein tüchtiger Geist an sich und
die freundliche Sorge um seine Schutzbefohlene kenntlich aus den Ge-
schenken sprach. Ein paar Tage später traf ich ihn, kam auf sein
„Fräulein" zu sprechen und bemerkte, er ward verstimmt. „Jst sie
denn unznfrieden gewesen?" „Nein — aber was sie ihren Leuten
geschickt hat!" „Was denn?" „Bilder und Bücher! Einem armen
Landpastor mit zehn Kindern und keinen zehn Talern im Kasten!
Und ein Photographiealbnm und Noten! Nichts, was sie brauchen
können!" Jch habe noch oft an das „nichts, was sie brauchen kön-

qio

Runstwart XVIII, 6
 
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