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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Enking, Ottomar: Weihnachtsaufführungen: ein Rück- und ein Ausblick
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0517

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gerade Weihnachtsabend gefeiert wird. Mit einem Rucke geht es so
zuletzt im Laufschritt anf den Lichterbaum zu, und damit rechtfertigen
dann die Verfasser den Untertitel ihrer „Dichtungen". Ein lebendes
Bild, worin alles kunterbunt durcheinander gruppiert ist, beschließt die
Vorstellung.

Jch glaube, wer es mit der Kultur des Kindes ernst meint, muß
sich entschieden gegen diese Weihnachtsstücke wenden. Sie strotzen in
ihren einzelnen Vorgängen von Geschmacklosigkeit nnd Sentimentalität,
die dem Kinde durchaus serngehalten werden müssen, sie haben kaum
den lockersten äußerlichen Zusammenhang mit dem Feste und erfüllen
deshalb in keiner Hinsicht, weder als Kindertheater, noch als Christ-
märchen, die Aufgabe, die doch unendlich lohnend ist. Der sinnverwir-
rende Prunk von Ballets und Feerieen kommt hinzu, um die junge Phan-
tasie zu überfüllen, zu übersättigen, statt ihr, wie es das Richtige wäre,
aus dem Theater eine Anregung mit nach Hause zu geben. Der
erwachsene Znschauer aber geht aus den Aufsührungen mit dem pein-
lichen Bewußtsein heim, daß die Weihnachtstatsache auch im Theater
nur der Spekulation auf die Kasse dient und den Deckmantel für eine
seichte und deshalb eher schädliche Unterhaltung hergeben muß.

Wie kann hierin Besserung eintreten? Zunächst dadurch, daß sich
die Autoren, die an Weihnachtsmärchen herangehen, im großen und
ganzen viel mehr von der Wichtigkeit ihres Gegenstandes durchdringen
lassen, eifrig danach trachten, das Gemüt der Kinder zu fassen, und sich
nicht damit begnügen, das so leicht zu gewinnende Erstaunen oder
Lachen der kleinen Leute auszulösen. Das Geschehnis der Weihnacht
sendet seine Strahlen in alle Erdenwinkel, in alle Verhältnisse aus,
und uns dünkt daher, es müßte einem Dichter nicht schwer sallen, ohne
jedes aufdringliche Moralisieren, das die Kinder bekanntlich nur lang-
weilt, ein rechtes Weihnachtsmärchen zu schreiben. Erhalten die Bühnen
aber derartiges nicht, dann sollten sie bei phantastischen Ausstattungs-
stücken von der Einflechtung des Weihnachtsgedankens überhaupt
absehen. Auf diese Weise bleiben wir wenigstens vor der Prosanierung
des Christfestes bewahrt.

Zur Vorbereitung für die Weihnachtsfeier und um Stimmung
sür sie zu erzeugen, gibt es indes längst etwas viel Passenderes und
Höheres, als man jetzt meist zu sehen bekommt, mnd darauf seien alle
Theater und auch alle Vereinigungen hingewiesen, die ernsten Bestre-
bungen huldigen. Das sind die köstlichen, schlichten Volks-Weih-
nachtsspiele, die sich uns von alter Zeit her in ihrer anspruchslosen
Schönheit erhalten haben. Nichts Ergreifenderes und Rührenderes wird
man finden können als die Weihnachtsvorgänge, die uns die Evangelien
überliefern. Die Hirten auf dem Felde, die Engel mit ihrem Weihe-
gesange, die heilige Familie selbst, die Weisen aus dem Morgenlande
und im Gegensatze zu all den Lichtgestalten der finstere Herodes: diese
Personen sind es, die wir immer gern wieder vor uns sehen, und die
gerade wir Deutschen, obschon die Geschichte im Morgenlande spielt, innig
verstehen. Was sie sagen, was sie tun, die ganze, von einer gewissen
wehmutsvollen Seligkeit durchdrungene Handlung entspricht unserm
Fühlen und Denken und ist geeignet, die Weihnachtswahrheit in uns und
unseren Kindern zu vertiefen und zu verfestigen. Aus diesem uralten



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