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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 8 (2. Januarheft 1905)
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Thari, Eugen: Warum es der Operette so schlecht geht
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0595

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auch wirklich noch Operetten sind, nicht nur Theatergebilde, die die
Bezeichnung Operette tragen.

Der Grundzug der Gattung Operette ist die Parodie. Wenn
die Oper, auch die komische, an das reale Leben anknüpft oder doch
wenigstens anznknüpfen sich bestreben soll, so ist die Operette ungefähr
das, was das Witzblatt unter den ernsten Journalen ist. Offenbach
hat das frühzeitig begriffen. Und da ihm musikalische Gestaltungs-
kraft gegeben war und außerdem dramatisches Talent, so konnte der
Erfolg nicht ausbleiben.

Seinen deutschen Nachfolgern fehlte das dramatische Talent und
der satirische Sinn. Auch wenn man in Betracht zieht, daß die Zeit-
umstände seit den achtziger Jahren andere geworden sind als im
zweiten sranzösischen Kaiserreich, muß vor allem überraschen, wie
schnell das Spezialgebiet der Operette, die Satire, verlassen wurde.
Seit Offenbach ist nur noch als einziges satirisches Werk überhaupt
der „Mikado" erschienen. Die Operette zog nach Wien. Hier ent-
stand allmählich die Hanswursterei und die Familienthee-Musik. Zuvor
mußte aber die Operette noch eine Art romantischer Periode durchlaufen.

Deren Meister war Karl Millöcker. Trotz des Talentes, das er
in einzelnen seiner Stücke, zumal im „Bettelstudenten", zeigte, muß
es gesagt sein, daß er der Operette den Rest gab. Nicht Strauß ist
der Vater der österreichischen Operette — sein Einfluß ist nur
sekundür —, sondern Millöcker. Freilich stützte sich auch dieser wieder
auf einen Vorgänger: Supps. Aber Supps, in dessen Werken sich
auch noch manche witzige musikalische Pointe findet, blieb zeit seines
Lebens ein vornehmer Musiker. Das zeigt sich schon äußerlich darin,
daß er die ganze Geschichte zu ernst nahm. Er führte die Operette
wieder in die Form der Oper. Seine großen Ensemblesätze zeigen die
Neigung zu ernster Arbeit viel zu sehr, als daß die Operette dabei
in ihrem innersten Wesen hätte gedeihen können. Die Form der ita-
lienischen Oper etwa Donizettis schien wieder auszuleben. Da kam
Millöcker. Er übernahm die „großen" Formen Suppss. Er über-
nahm auch das von Supps zur Blüte gebrachte Couplet. Aber seine
Musik war eine andere. Die verhältnismäßig sensitive Art Suppss
wich der dicken Gesühlslyrik, dem sentimentalen Rührstück. Es ist
alles ins Gröbere gezogen. Und der Operette ging hierbei der Atem
aus. Ein Witzblatt, das hauptsächlich nach Rührung giert, hat doch
wirklich seinen Beruf verfehlt. Aber wie das Sentimentale von je
aus die große Masse anziehend wirkte, so war es auch hier. Von
Millöcker schreibt sich serner die Schablonisierung der Operette her.
Er war es, der die Operette in einer bestimmten Form erstarren ließ,
der seine hauptsächlichsten Werke über denselben Leisten schlug, der
das einmal erfolgreiche Klischee immer wieder brachte. Die Millöckerei
bedeutete den Höhepunkt des Operettenwesens in Deutschland. Mil-
löckers Nachsolger war Zeller. Er erwarb dem langsamen Walzerlied
das Heimatrecht in der deutschen Operette. Die Periode des tränen-
seligen Schlagers rührt so recht von der Aera des „Vogelhändlers"
her. Noch etwas anderes aber brachten die Zellerschen Operetten:
das Uebergewicht der Tanzmusik. Verfolgt man die Entwicklung, so
kann man sehen, wie bei Supps und zum Teil auch Millöcker der

Runstwart XVIII, 8
 
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