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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1905)
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Nodnagel, Ernst Otto: Gustav Mahler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0672

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Die kolossale „Dritte" schreitet sozusagen „den ganzen Kreis der
Schöpfung aus" und mag vielleicht Vorstellungen wie die von der
allmählichen Differenzierung der Materie bis znr höchsten Vergeisti-
gnng und Verklärung auslösen. Auch „an Tier und Vögeln fehlt
es nicht" in der nbermütigen Humoreske des dritten Satzes. Nichts-
destoweniger zeigt die dritte Symphonie am deutlichsten, daß Mahlers
Stil sich auf ganz anderen Pfaden bewegt, als der Symbolismus.
Das Werk, dessen sechs Sätze musikalisch völlig unabhängig vonein-
ander sind und, außer einem die Hauptsteigernngen im ersten und
letzten Satz krönenden Thema, keinen gemeinsamen musikalischen Ge-
danken haben, sind, wenn man sie rein musikalisch betrachtet, voll-
ständig und klar verständlich. Das Finale (Adagio) gehört in seiner
strahlenden Wärme wie in der monumentalen Einfachheit des Auf-
baus und feierlichen Schönheit der Erfindung zn den Sätzen, wie
fie früher nur Beethoven zu schaffen vermocht.

Die viel angefeindete und wenig verstandene vierte Symphonie
in 6-äur hat wiederum, wie auch jede ihrer drei Vorgängerinnen,
völlig ihre eigene Physiognomie. Auch sie ist von idyllischem Grund-
charakter, doch wesentlich verschieden von der ersten. Man könnte sie
wohl „Paradies-Symphonie" nennen, denn die verschiedenen Stim-
mungsnüancen himmlischer Seligkeit und paradiesischer Wonnen schei-
nen den Tondichter zu musikalischem Ausdruck gedrängt zu haben,
und sie strömt über von einer innigen zarten Glückseligkeit. Kein
Wunder! Entstammt sie doch der Zeit, da der Mensch Gustav Mahler
seinen „Himmel auf Erden" gesunden hat. Musikalisch knüpft der
letzte Satz, der von einer Sopranstimme mit den naiven Worten des
„Wunderhorns" die himmlischen Freuden schildern läßt, an den köst-
lichen frischen Engelchor der Dritten an. Jn ihrer liebenswürdigen,
anmutigen Einfachheit läßt die 6-äur-SymPhonie nichts von den er-
schütternden Katastrophen ahnen, die in den drei vorhergehenden Parti-
turen enthalten sind. Sie wird sehr treffend charakterisiert durch ein
Wort, das der ansgezeichnete Mahlerdirigent Professor Buths aus
Düsseldorf einmal gesprächsweise dafür prägte: Es ist fozusagen eine
„Kammermusik-Symphonie".

Die Fünfte Symphonie hat als Haupttonart wieder v-äur, be-
ginnt jedoch mit einem Trauermarsch in eis-moll. Jn diesem Werk
kehrt der Tondichter wieder zur reinen Jnstrumentalmusik znrück. Bei
den Symphonieen Nr. 2, 3 und H ließen sich viele Beurteiler durch
das Zutreten der Singstimme und des Dichterwortes zu der Meinung
verleiten, es mit Programmusik zu tun zu haben. Man übersah
völlig, Laß Programmusik und Vokalmusik in gewissem Sinne aus-
schließende Gegensätze sind. Mahler ist in allen seinen symphonischen
Werken nnd natürlich auch in der „Fünsten" absoluter Musiker.

Dem pathetischen Tranermarsch folgt ein Satz, dessen Grnndstim-
mung leidenschastlicher Schmerz bildet. Diesen zwei Sätzen tritt dann
als zweite Abteilung ein Scherzo gegenüber, das mir in seinem
dithyrambischen Schwnng und seiner dionysischen Ueberschwänglichkeit,
zugleich aber anch in der halsbrecherischen Verwegenheit seiner Poly-
phonie den Höhepunkt in Mahlers bisherigem Schaffen zu bilden
scheint. Als lyrischen Ruhepunkt zwischen dieses tumultuarische, lebens-

6^8 Runstwart XVIII, Z
 
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