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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 9 (1. Februarheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0674

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„Krauskopf" paßt gut rn diesen Verlag. Freilich, man muß, will man das
Buch genießen, einige Geduld mitbringen, um das mitunter allzu breite
Behagen des Autors an sich und seinen Jnteressen ruhig hinzunehmen. Aber
auch darin steckt ein Stück jenes altväterlichen, germanischen Hnmors, der
sich Zeit und der in seiner Liebe das Maß für groß und klein, wichtig und
unwichtig gern einmal aus den Augen läßt. Hermann Wette erzählt uns
im ersten Bande die Geschichte seines Krauskopfs nach Abstammung und
allen Lebensumständen von der Geburt bis etwa zur Gymnasialzeit und
im zweiten Bande bis zu seiner Reise für die Universität. Unser Schrift-
steller kommt von Swift, Sterne, Fielding, Claude Tillier und Vielleicht
gar von Wilhelm Raabe her und spinnt nachdenklich-lächelnd kreuz und
quer ein Gewebe, das warm hält und Freude macht. Und die Menschen,
denen wir begegnen, haben Fleisch und Bein auch für uns. Nur eine Figur
will nicht recht deutlich und lebendig werden, trotzdem grade sie dem Dichter
besonders wert ist, Ohm Detmar, der Arzt und Humorist: trotzdem er viel
tut und noch mehr redet, gewinnt er nicht recht Gestalt, weil seine Reden
weniger aus ihm selbst stammen als aus dem Herzen seines Dichters. Gewänne
Hermann Wette noch ein wenig mehr Abstand von seinen Personen, was der
wahren Liebe ja keinen Eintrag tut, so würde die Geschichte vom jungen
Krauskopf literarisch wohl noch gewinnen.

Was ihr aber ganz abgesehen vom „literarischen" ein starkes Jnteresse
gibt, das ist die geistige Umgebung, in der unser Krauskopf heranwächst:
die Welt der deutschen Katholiken in Rheinland und Westfalen. Die Zwei-
teilung in eine protestantische und eine katholische Erzählerliteratur besteht
ja leider sehr trennungskräftig: gewöhnlich wissen die auf der einen Seite
nicht nur von der Literatur der andern wenig, sondern sie wissen auch wenig
davon, was und wie überhaupt man drüben denkt, fühlt und will. „Kraus-
kopf" gibt den Deutschen zur Linken von den Deutschen am andern User
Bescheid, ohne durch gefärbte Brillen zu sehn. Man lese im folgenden,
wie er das Arbeiten streng katholischer Schulmänner schildert, man könnte
zwei Kapitel weiter vergleichen, wie viel Häßlicheres er aus „kulturkämpfe-
rischen" Kreisen zu melden weiß, er, der seinen Krauskopf doch nicht zum
Zeutrum hin führt, sondern von ihm weg. Begleiten wir also den Jungen
nun, den Vierzehnjährigen, mit seinem Vater und seinem Rotkehlchen nach
Gaisfurt, einem im fünfzehnten Jahrhundert erbauten frühern Benediktiner-
kloster, das inmitten von grünen Wiesen und Weiden, umhegt von einem
großen Baum- und Gemüsegarten und umschlossen von einer breiten Wasser-
gräfte, einen behaglichen und freundlichen Anblick bot.

Krauskopfs Einzug in das stille Knabenheim erregte einiges Aufsehen.
So ein krauser Lockenwald in so strotzender Fülle war da doch noch nicht
erschienen. Und gar ein Vogelbauer mit einem Rotkehlchen!

Junge! empfing ihn der dicke Pitter, der wohlbeleibte Präfekt und
Oekonom des Hauses, mit schallendem Gelächter, bist du ein Mausefallenkerl
aus der Polakkei, oder bist du dem Mozart sein Papageno? Na, Junge,
das kann ich dir sagen, Simsons Löwenmähne wird dir der Baas schon
stutzen, und wenn du den Vogel behalten willst, dann muß dein Vater sür
zwei Kostgänger bezahlen.

Rektor Paulus aber, der Baas oder auch wegen seiner gewaltigen Nase
kurzweg die Nas genannt, ein kleines, hageres Männlein mit kurzgeschornem,
grauhaarigem Langschädel, aus dessen faltenreichem, in jeder Miene Willens-

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